# 1. Die vier grundlegenden Arbeitsschritte: Von der Pro-Kontra-Liste bis zur logischen Detailrekonstruktion *Pros and Cons -- A Debater's Handbook* fasst öffentliche Debatten in Form von kurzen Pro-Kontra-Listen zusammen. Das Handbuch ist erstmals 1896 bei Routledge in London erschienen und seitdem vielfach überarbeitet worden. Die 18. Auflage [@Sather1999] führt unter dem Titel "Staatliche Zensur" folgende Gründe -- für und wider -- an: ::: {.small custom-style="Zitat"} > \[Pro1\] Freie Meinungsäußerung ist niemals ein absolutes Recht, sondern ein erstrebenswertes Ziel. Sie hört auf, ein Recht zu sein, wenn wegen ihr andere Personen Schaden nehmen -- wir alle anerkennen beispielsweise die Bedeutung der Gesetzgebung gegen Volksverhetzung. Deshalb ist es nicht der Fall, dass Zensur prinzipiell falsch ist. > \[Con1\] Zensur ist prinzipiell falsch. Wie heftig wir auch dem Standpunkt oder den Äußerungen einer Person widersprechen mögen, in einer zivilisierten Gesellschaft muss sie frei sein, sich so zu äußern. Zensur, wie etwa die Gesetzgebung gegen Volksverhetzung, treibt Rassisten und andere nur in den Untergrund, sodass dieser Teil unserer Gemeinschaft ghettoisiert wird und sich verschanzt, anstatt dass seine Mitglieder in eine offene und vernünftige Debatte einbezogen werden. > \[Pro2\] Bestimmte Literaturformen oder visuelle Darstellungen sind auf überzeugende Weise mit Kriminalität in Verbindung gebracht worden. Es ist nachgewiesen (besonders durch Studien in den USA), dass exzessiver Sex und Gewalt in Film und Fernsehen eine Tendenz zu ähnlichem Verhalten seitens der Zuschauer befördern. Dafür gibt es keine Entschuldigung und derartige Bilder müssen preisgegeben werden, ganz gleich von welchem künstlerischen Wert sie sein mögen. > \[Con2\] Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen Sex und Gewalt auf der Mattscheibe und im echten Leben alles andere als klar. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet ist es so, dass die Personen, die *bereits eine Tendenz* zu Gewalt haben, sehr wahrscheinlich auch gewalttätige Horrorfilme schauen. Die zwei Dinge hängen daher zusammen, aber die Persönlichkeit des Individuums bildet sich zuerst. > \[Pro3\] Wir akzeptieren auch staatliche Zensur im Kontext der Altersfreigaben für Filme, Videos und einige Computerspiele, so dass Kinder unterhalb eines bestimmten Alters nicht unangemessenen Sex- und Gewaltszenen ausgesetzt sind. Wir sollten den Staat, als unseren moralischen Wächter, mit der Regulierung derartigen Materials -- sowie weiterer im Internet verfügbarer Inhalte -- betrauen, um einen konsistenten Schutz all unserer Kinder zu gewährleisten. Sex und Gewalt in Zeitschriften und im Fernsehen sollten für Kinder so unzugänglich wie möglich sein – pornographische Zeitschriften dürfen nur unter Vorweis eines Ausweises an Erwachsene verkauft werden, und Sexfilme sollten nur spät abends im Fernsehen laufen. > \[Con3\] Derartige Formen staatlicher Regulierung sind notorisch wirkungslos. Kinder jedweden Alters haben Zugang zu Videos, Spielen und Onlineinhalten mit "Altersfreigabe 18", wenn sie es wirklich wollen. Letztendlich kann und muss der einzig effektive Schutz der Kinder vor unangemessenen Inhalten von den Eltern kommen. Und dieser Schutz ist keine staatliche Zensur, sondern basiert auf individueller Wahl und Kontrolle der Eltern. Dort gehören solche Entscheidungen hin. > \[Pro4\] Wir benötigen staatliche Zensur insbesondere im Kontext von Kinder- und Hardcore-Pornographie. Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden. Und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. > \[Con4\] Nochmals: Leute werden Pornographie in die Hände bekommen, sodenn sie es wollen. Zensur wird die Anzahl derer, die Pornographie nutzen, nicht verändern. Es ist Aufgabe der Eltern und der Gemeinschaft, Kinder so zu erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben -- und es ist nicht Aufgabe des Staates, unwirksame Gesetzgebung darüber zu erlassen, welche Arten von Fotos veröffentlicht werden dürfen. Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben. Pornographie hat nur auf diejenigen einen heimtückischen Einfluss, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. Der Verweis auf Kinderpornographie führt hier in die Irre -- denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. > \[Pro5\] Wir benötigen staatliche Zensur, um öffentliche Personen vor inakzeptablen Einmischungen durch die Regenbogenpresse zu schützen. Gesetzgebung zum Schutz der Privatsphäre wäre ein gutes Beispiel für zulässige Zensur. Gerichte können bereits Verfügungen erlassen, mit denen Zeitungen die Veröffentlichung von Inhalten, von denen eine Gefahr für ein Individuum ausgeht (wie zum Beispiel der Aufenthaltsort eines mutmaßlichen Pädophilen oder eines Kriminellen, der aus dem Gefängnis entlassen wurde), untersagt wird. > \[Con5\] Grundsätzlich sollten Zeitungen nicht auf diese Weise "geknebelt" werden. Wenn ein Mob entschieden ist, den Aufenthaltsort eines Kriminellen ausfindig zu machen, wird ihm das auch ohne Hilfe der Presse gelingen, solange das fragliche Individuum keinen Schutz oder eine neue Identität von der Polizei erhält. Bezüglich der Privatsphäre: öffentliche Personen akzeptieren, dass ihr Leben öffentliches Eigentum wird, wenn sie die öffentliche Bühne betreten. Außerdem können sie rechtliche Schritte wegen Verleumdung oder Diffamierung einleiten. Die entsprechenden Gesetze, gemeinsam mit Selbstregulierung, und nicht staatliche Zensur, sind der richtige Weg, die Medien zu regulieren. ::: Was halten Sie davon? --- Vielleicht stimmen Sie einigen Äußerungen zu: "Ja, so ist es." "Genau, sehe ich auch so." Vielleicht lehnen Sie andere Gedanken mehr oder weniger entschieden ab: "Das kann man so nicht stehen lassen." "Das ist völlig unbegründet." "Das entspricht nicht den Tatsachen." "Empörend!" Der Text hat jedenfalls das Zeug, Ausgangspunkt einer lebhaften inhaltlichen Diskussion darüber zu sein, welche der Gründe akzeptabel sind und was man insgesamt von staatlicher Zensur zu halten hat. In eine solche Diskussion über die Akzeptabilität von Gründen steigt man indes *nicht* ein, wenn man eine Argumentanalyse erstellt. Zustimmung, Widerspruch und Kritik lässt man dann nämlich vorläufig ruhen. Stattdessen tritt man einen großen Schritt zurück und wird vom lesenden Mitstreiter (einem Proponenten oder Opponenten im Geiste) zu einem Beobachter der Debatte, der zunächst versucht, nüchtern zu verstehen, was genau eigentlich zur Diskussion steht und wie die verschiedenen Argumente verlaufen sowie ineinandergreifen. \mymnote{Maxime} :::{.def custom-style="Definition"} *Erster Schritt:* Verstehen einer Argumentation *Zweiter Schritt:* Kritische Meinungsbildung und Fortführung der Debatte ::: Wir treten jetzt einen Schritt zurück und versuchen uns, peu à peu, die Argumentation der Pro-Kontra-Liste verständlich zu machen. Dabei gehen wir wie folgt vor: Erstens klären wir, wie genau die These lautet, für bzw. gegen die die Gründe der Pro-Kontra-Liste sprechen (Abschnitt 1.1.). Sogar bei einer scheinbar einfachen Pro-Kontra-Liste kann es ziemlich schwierig sein, diese Frage zu beantworten. Anschließend werfen wir, zweitens, einen ersten Blick auf die Gründe der Pro-Kontra-Liste und überprüfen, ob es sich um Gründe für/gegen die zentrale These, oder vielmehr um Gründe für/gegen andere Gründe handelt (Abschnitt 1.2.). So überführen wir die Pro-Kontra-Liste in eine "Gründehierarchie". Drittens präzisieren wir die einzelnen Gründe, indem wir unterscheiden (a) welche Aussage (Konklusion) jeweils begründet wird und (b) welche Aussagen (Prämissen) in die Begründung dieser Konklusion eingehen (Abschnitt 1.3.). Aus Gründen werden so Argumente. Die in 1.2. skizzierten Pro- und Kontra-Beziehungen können wir dadurch überprüfen und korrigieren. Schließlich untersuchen wir anhand einer detaillierten logischen Analyse, viertens, ob die Konklusionen der Argumente tatsächlich aus den in 1.3. identifizierten Prämissen des jeweiligen Arguments folgen und modifizieren unsere Analyse ggf. entsprechend (Abschnitt 1.4.). ## 1.1. Wir finden, präzisieren und unterscheiden die zentralen Thesen In groben Zügen und sehr nah an der vorgegebenen Struktur des Textes im *Debater's Handbook* bleibend lässt sich die Argumentation wie folgt skizzieren: \tafel{tafel:pro-con-liste1} ```argdown [Staatliche Zensur] + : ... - : ... + : ... - : ... + : ... - : ... + : ... - : ... + : ... - : ... ``` Es gibt jeweils fünf Gründe für und gegen die zentrale These. Aber ... wie genau lautet eigentlich die zentrale These? "Staatliche Zensur" ist bloß ein Schlagwort und keine Aussage, die wahr oder falsch ist. Begründen und entkräften, zustimmen und ablehnen kann man aber nur Aussagen. \mymnote{Begriffserläuterung} ::: {.def custom-style="Definition"} *Aussagen* sind Sätze, die entweder wahr oder falsch sind. Fragesätze und Befehlssätze sind keine Aussagen. Für das klare Denken ist es elementar, in Bezug auf eine Aussage *p* folgende Sachverhalte zu unterscheiden: 1. Die Aussage *p* ist wahr/falsch. 2. Jemand ist der Überzeugung, dass die Aussage *p* wahr/falsch ist. Es lässt sich feststellen, dass die Aussage *p* wahr/falsch ist. Es besteht wissenschaftliche Unsicherheit darüber, ob die Aussage *p* wahr oder falsch ist ... ::: Der Text gibt zwar keine eindeutige Auskunft dazu, wie genau die zentrale These, um die gestritten wird, lautet. Die verschiedenen Pro- und Kontra-Gründe enthalten aber zahlreiche, teils sehr deutliche Hinweise dazu, wofür bzw. wogegen sie sprechen. Folgende zentrale Thesen lassen sich daher aus dem Text gewinnen: \tafel{tafel:thesen} ```argdown [Keine absolute Meinungsfreiheit]: Freie Meinungsäußerung ist niemals ein absolutes Recht. /*Vgl. [Pro1]*/ [Zensur nicht prinzipiell falsch]: Es ist nicht der Fall, dass Zensur prinzipiell falsch ist. /*Vgl. [Pro1] und [Con1]*/ [Zensur benötigt]: In einigen Fällen benötigen wir Zensur. /*Vgl. [Pro2], [Pro3], [Pro4], [Pro5]*/ ``` Zwei der so formulierten Thesen sind Negationen (Form: "Es ist nicht der Fall, dass *p*"). In aller Regel ist es jedoch vorteilhafter, da transparenter, nicht-negierte Aussagen als zentrale Thesen einer Argumentation zu setzen. Eine weitere Modifikation der Thesen besteht darin, explizit zu machen, dass es hier um *staatliche* Zensur geht. Und die dritte These, schließlich, lässt sich zuspitzen zu der Behauptung, dass Zensur in einigen Fällen *geboten* ist. \tafel{} ```argdown [Absolute Meinungsfreiheit]: Freie Meinungsäußerung ist ein absolutes Recht. /*Vgl. [Pro1]*/ [Zensurverbot]: Staatliche Zensur ist prinzipiell falsch. /*Vgl. [Pro1] und [Con1]*/ [Zensurgebot]: In einigen Fällen ist staatliche Zensur geboten. /*Vgl. [Pro2], [Pro3], [Pro4], [Pro5]*/ ``` Doch auch mit diesen Reformulierungen ist nicht restlos klar, was die Thesen eigentlich besagen. In Bezug auf [`[Absolute Meinungsfreiheit]`]{.the} lässt sich etwa fragen: Ist hier von moralischen Rechten oder von Rechten, die in einem Rechtssytem gelten -- oder gelten *sollten* -- die Rede? Wird behauptet, dass es sich um ein Grundrecht handelt, das abwägbar ist, oder wird stärker behauptet, dass jede Form der Verletzung dieses Rechts falsch ist? \tafel{} ```argdown [Meinungsfreiheit-1]: Jeder Mensch besitzt ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, das nur mit anderen Grundrechten abgewogen werden darf. [Meinungsfreiheit-2]: Jede Handlung, die dazu führt, dass ein Mensch daran gehindert wird, seine Meinung frei zu äußern, ist moralisch falsch. [Meinungsfreiheit-3]: Das Recht auf freie Meinungsäußerung sollte ein in der Verfassung verbürgtes und jederzeit individuell einklagbares Grundrecht sein. ``` Diese unterschiedlichen Aussagen deuten nur exemplarisch die vielen Differenzierungen an, die man bei der weiteren Präzisierung der ersten These vornehmen kann. In Bezug auf die Thesen zur staatlichen Zensur ist zu beachten, dass "staatliche Zensur" ein in hohem Maße *mehrdeutiger* Begriff ist. Unter "staatlicher Zensur" kann man z.B. verstehen: - *Zensur-1*: jede Form staatlichen (d.h. gesetzgebenden, rechtssprechenden oder exekutiven) Handelns, das in der Folge Personen daran hindert, frei ihre Meinung zu äußern; oder - *Zensur-2*: jede Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert; oder - *Zensur-3*: jede regulatorische und institutionelle Gestaltung der Rahmenbedingungen, unter denen öffentliche Medien Informationen verbreiten. Dass es sich hierbei um verschiedene Begriffe handelt, erkennt man daran, dass es Maßnahmen gibt, die unter den einen, nicht aber unter den anderen Begriff fallen. Dementsprechend ergeben sich weitere Thesendifferenzierungen, u.a.: \tafel{} ```argdown [Zensurverbot-1]: Staatliche Zensur-1 ist prinzipiell falsch. [Zensurverbot-2]: Staatliche Zensur-2 ist prinzipiell falsch. [Zensurgebot-1]: In einigen Fällen ist staatliche Zensur-1 geboten. [Zensurgebot-2]: In einigen Fällen ist staatliche Zensur-2 geboten. ``` Wir unterscheiden. Wir präzisieren. Wir reformulieren. Dabei lässt sich beobachten, dass wir uns mehr oder weniger stark vom Text lösen. Das ist eine für die Argumentanalyse charakteristische Bewegung. Einen Argumentationsgang klären und verständlich(er) machen kann man nur dann, wenn man nicht an den Formulierungen des Textes klebt und sich von der vorgefundenen Struktur des Textes befreit. \mymnote{Begriffserläuterung} ::: {.def custom-style="Definition"} Aussagen können in verschiedenen inferentiellen Beziehungen zueinander stehen. Die wichtigsten logisch-begrifflichen Zusammenhänge, die zwischen *zwei* Aussagen bestehen können, sind: Aussage A ist äquivalent mit Aussage B: : Es ist logisch-begrifflich notwendig, dass die eine Aussage dann und nur dann wahr ist, wenn die andere Aussage wahr ist. In diesem Fall sind die Aussagen (extensional) gleichbedeutend. Aussage A impliziert Aussage B: : Es ist logisch-begrifflich notwendig, dass wenn die Aussage A wahr ist, dann auch die Aussage B wahr ist. In diesem Fall ist Aussage A (logisch-begrifflich) hinreichend für Aussage B, und Aussage B ist umgekehrt (logisch-begrifflich) notwendig für Aussage A. Aussage A steht in kontradiktorischem Gegensatz zu Aussage B: : Es ist logisch-begrifflich notwendig, dass genau eine der Aussagen wahr und die andere falsch ist. Aussage A steht in konträren Gegensatz zu Aussage B: : Es ist logisch-begrifflich unmöglich, dass beide Aussagen zugleich wahr sind. ::: Zwischen den bisher präzisierten Thesen bestehen *inferentielle Zusammenhänge*, logisch-begriffliche Abhängigkeiten. In der ersten Lesart ist staatliche Zensur (*Zensur-1*) eine spezielle Form des Handelns, die unter das zweite Prinzip der Meinungsfreiheit fällt. [`[Zensurverbot-1]`]{.the} ist folglich ein Spezialfall von [`[Meinungsfreiheit-2]`]{.the}. \tafel{} ```argdown [Zensurverbot-1]: Jede Form staatlichen (d.h. gesetzgebenden, rechtssprechenden oder exekutiven) Handelns, das in der Folge Personen daran hindert, frei ihre Meinung zu äußern, ist prinzipiell falsch. <+ [Meinungsfreiheit-2]: Jede Handlung, die dazu führt, dass ein Mensch daran gehindert wird, seine Meinung frei zu äußern, ist moralisch falsch. ``` Außerdem stehen die Thesen [`[Zensurverbot]`]{.the} und [`[Zensurgebot]`]{.the} in einem konträren (aber nicht kontradiktorischen) Gegensatz zueinander -- solange man unter "Zensur" dabei jeweils dasselbe versteht. Denn etwas, was geboten ist, kann nicht zugleich verboten sein (aber einiges ist weder ge- noch verboten). \tafel{} ```argdown [Zensurverbot-1] <- [Zensurgebot-1] [Zensurverbot-2] <- [Zensurgebot-2] ``` Schließlich umfasst der Zensurbegriff in der ersten Lesart den Zensurbegriff in der zweiten Lesart (unter den Annahme, dass einige Personen durch Gesetzgebung daran gehindert werden, das gesetzlich Verbotene zu tun). Alles, was *Zensur-2* ist, ist auch *Zensur-1*. Für die entsprechenden Ge- und Verbote bedeutet das aber: \tafel{} ```argdown [Zensurverbot-1] +> [Zensurverbot-2] [Zensurgebot-1] <+ [Zensurgebot-2] ``` Aus den bisher genannten inferentiellen Beziehungen ergeben sich weitere Zusammenhänge (die wir, da sie ableitbar sind, nicht zusätzlich notieren müssen). Zum Beispiel steht [`[Meinungsfreiheit-2]`]{.the} in einem konträren Gegensatz zu [`[Zensurgebot-2]`]{.the}. \mymnote{Logisch-semantische Analyse} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Um sich zu verdeutlichen, welche inferentiellen Zusammenhänge zwischen Aussagen bestehen, ist es häufig erforderlich, ihre logisch-semantische Form transparent zu machen. Im ersten Schritt werden dazu die Aussagen durch geeignete Paraphrase so formuliert, dass ihre logische Struktur deutlich wird; im zweiten Schritt kann dann die logische Form durch Verwendung von Platzhaltern angegeben werden. ```argdown [Meinungsfreiheit-2]: Jede Handlung der Art MU ist verboten. [Zensurverbot-1]: Jede Handlung der Art SZ1 ist verboten. [Zensurverbot-2]: Jede Handlung der Art SZ2 ist verboten. [Zensurgebot-1]: Es gibt Handlungen der Art SZ1, die geboten sind. [Zensurgebot-2]: Es gibt Handlungen der Art SZ2, die geboten sind. ``` Wenn wir nun ferner als begrifflich-wahre Hintergrundannahmen unterstellen, dass jede Handlung der Art `SZ2` eine Handlung der Art `SZ1` ist und dass jede Handlung der Art `SZ2` eine Handlung der Art `MU` ist, dann ergeben sich die im Text notierten inferentiellen Beziehungen aus einfachen prädikatenlogischen und deontischen Zusammenhängen. ::: Es zeigt sich ob der vielen Thesendifferenzierungen, dass die Analyse schnell kompliziert wird, und zwar noch bevor wir überhaupt irgendwelche Argumente betrachtet haben! Wie geht man mit dieser Komplexität um? Völlig ausgeschlossen ist es, alle möglichen Interpretationen der zentralen Thesen in ein und derselben Argumentanalyse zu berücksichtigen. Gleichermaßen ausgeschlossen ist es, nacheinander jede denkbare Präzisierung einer jeweils neuen und eigenen Analyse des Gesamttextes zu Grunde zu legen. Der Interpretationsspielraum hinsichtlich der zentralen Thesen lässt sich nicht lückenlos explorieren. Als ArgumentanalystIn muss man bestimmen, welche der Thesen zentrale Anknüpfungspunkte der zu rekonstruierenden Argumentation sind. Dabei kann man selbstverständlich nicht nur eine, sondern mehrere Thesen wählen, die möglicherweise sogar inferentiell zusammenhängen. Wichtig ist jetzt: 1. Die Entscheidung, bestimmte Thesen als zentrale Thesen einer Argumentation zu betrachten, ist eine *Interpretationsentscheidung*, die in exegetischer und in systematischer Hinsicht getroffen werden kann. 2. Diese Entscheidung in *exegetischer Hinsicht* zu treffen, bedeutet, diejenigen Thesen auszuwählen, von denen es am plausibelsten erscheint, dass sie eine möglichst stimmige und angemessene Interpretation des Gesamttextes ermöglichen. 3. Diese Entscheidung in *systematischer Hinsicht* zu treffen, heißt, bestimmte Fragestellungen von außen an den Text heranzutragen und den Text daraufhin zu analysieren, was er zu diesen Fragen zu sagen hat. (Freilich können auch beide Gesichtspunkte -- exegetische und systematische -- zugleich in eine Interpretationsentscheidung einfließen. Und manchmal bedingen sich exegetische und systematische Ziele, z.B. wenn man nur aufgrund der sorgfältigen Lektüre und Interpretation eines Textes auf eine bestimmte These stößt, deren systematische Relevanz man dann erkennt.) Illustrieren wir dies an unserer Beispieldebatte. Möglicherweise liest und analysiert jemand den Text, um sich darüber klar zu werden, ob Internetkonzerne gesetzlich dazu verpflichtet werden sollten, Falschmeldungen im Netz nicht zu verbreiten. Die Argumentanalystin hat dann ein *systematisches Interesse* und wird die Überlegungen im Text rekonstruieren als Argumente für und wider die These: \tafel{} ```argdown [Falschmeldungsverbot]: Internetkonzerne sollten gesetzlich dazu verpflichtet werden, Falschmeldungen im Netz nicht zu verbreiten. ``` Eine andere Interpretin tritt möglicherweise nicht mit einer eigenen Fragestellung an den Text heran: Herauszufinden, welche Frage der Text stellt und beantwortet, ist vielmehr ein erstes Ziel ihrer Analyse. Die Interpretin will verstehen, wie und wofür dort eigentlich argumentiert wird; sie bestimmt die zentralen Thesen in *exegetischer Hinsicht*. Dabei tritt ein Problem auf, das für Interpretationen im Allgemeinen und für Argumentanalysen im Besonderen typisch ist: Man muss sich *zu Beginn* der Interpretation entscheiden, welche Thesen man in das Zentrum der Argumentanalyse stellt. Aber eigentlich weiß man erst *ganz am Ende*, nachdem man den gesamten Text analysiert hat, ob es überhaupt möglich ist, den Text stimmig als Argumentation zugunsten und gegen bestimmte Thesen zu interpretieren. Dieses Henne-Ei-Problem löst man wie folgt: 1. Die Entscheidung, bestimmte Thesen in das Zentrum einer Rekonstruktion zu rücken, ist eine *Interpretationshypothese*. 2. Diese Interpretationshypothese bildet vorläufig den Rahmen für die weitere Rekonstruktion des Textes. 3. Im Laufe der weiteren Analyse kann die anfängliche Interpretationshypothese (a) erhärtet (Argumente lassen sich stimmig auf die These beziehen) oder (b) in Frage gestellt (wichtige argumentative Passagen im Text stehen in gar keinem Zusammenhang zur These) werden. 4. Wenn eine Interpretationshypothese Probleme aufwirft (Fall b), so kann dies eine Revision der zentralen Thesen (und d.h. der initialen Hypothese) erforderlich machen. Die zentralen Thesen können dazu schrittweise im Laufe der Interpretation modifiziert und angepasst werden. Manchmal ist es aber auch ratsam, eine Interpretationshypothese völlig zu verwerfen und bei der Rekonstruktion ganz von vorne -- und zwar mit einer anderen zentralen These -- anzufangen. So wie man als AutorIn bereit sein muss, im entstehenden Text Sätze immer wieder umzuformulieren oder gar ganze Abschnitte zu streichen, so muss man als ArgumentanalystIn bereit sein, die eigenen Rekonstruktionen immer wieder anzupassen und ggf. sogar große Teile der bisherigen Analyse völlig zu verwerfen. Was bedeutet all das für die Analyse unserer Beispieldebatte *in exegetischer Hinsicht*? Die anfängliche Interpretationshypothese, die den Rahmen für unsere Analyse der Argumente bildet, lautet, dass sich die Debatte gut verstehen lässt als eine Debatte über die Thesen [`[Meinungsfreiheit-2]`]{.the} sowie [`[Zensurverbot-2]`]{.the} und [`[Zensurgebot-2]`]{.the}. Solange wir an dieser Hypothese festhalten, streichen wir den jeweiligen Index und sprechen z.B. einfach vom [`[Zensurgebot]`]{.the}. Warum ist das eine plausible Arbeitshypothese? 1. Dem Wortlaut nach wird in den Argumenten auf Meinungsfreiheit, Zensurverbot und Zensurgebot Bezug genommen (wie oben bereits festgestellt). 2. Eine erste Lektüre der Gründe (Gesetzgebung zu Volksverhetzung, Pornografie, Schutz der Privatsphäre) scheint dafür zu sprechen, dass die Argumente sich auf staatliche Zensur in der zweiten Lesart (und nicht in der viel allgemeineren ersten Lesart) beziehen. 3. Aufgrund der inferentiellen Zusammenhänge zwischen diesen drei Thesen werden durch die Argumentanalyse alle Argumente, die sich teils auf die eine, teils auf die andere These beziehen, selbst in Beziehung zueinander gesetzt. Die inferentielle Vernetzung der zentralen Thesen verspricht daher, die Kohärenz der Gesamtanalyse zu erhöhen (d.h., den Text so zu interpretieren, dass sich seine verschiedenen Teile sinnvoll aufeinander beziehen). Wir haben bereits sehr genau über die Debatte nachgedacht, ohne überhaupt ein einziges Argument detaillierter in den Blick zu nehmen. Es steht bisher nur die vorläufige Interpretation des Kerns der Debatte in Gestalt zentraler Thesen, um den wir allerdings -- wie um einen Kondensationskern -- die verschiedenen Argumente nun, diese Schritt für Schritt rekonstruierend, anordnen können. Alle Erfahrung zeigt dabei: Ein möglichst gutes Verständnis der zentralen Thesen einer Debatte erleichtert die Rekonstruktion der Argumente ganz erheblich. ## 1.2. Wir beziehen die Pro- und Kontra-Gründe aufeinander und erstellen eine Gründehierechie Im Text finden sich fünf Pro- und fünf Kontra-Gründe, die sich wie in Tafel\ \ref{pro-con-liste-2} auf die zentralen Thesen beziehen lassen. Wir orientieren uns dabei zunächst nur an den Hinweisen im Text und korrigieren unsere ursprüngliche Pro-Kontra-Liste minimal. Die Gründe [``]{.arg} und [``]{.arg} sprechen gegen bzw. für ein allgemeines Zensurverbot (vgl. etwa "Deshalb ist es nicht der Fall, dass Zensur prinzipiell falsch ist"). Die Gründe mit den Nummern 2-5 betreffen hingegen die Frage, ob Zensur in bestimmten Fällen erforderlich, d.h. geboten ist -- diese Gründe sprechen für und gegen das partikuläre Zensurgebot. Schließlich äußert sich [``]{.arg} auch zur Meinungsfreiheit. \tafel{pro-con-liste-2} ```argdown [Zensurverbot] <- : ... <+ : ... [Zensurgebot] <+ : ... <- : ... <+ : ... <- : ... <+ : ... <- : ... <+ : ... <- : ... [Meinungsfreiheit] <- : ... ``` Eine genauere Betrachtung der so skizzierten Stützungs- und Angriffsbeziehungen lässt aber Zweifel an dieser einfachen Darstellung aufkommen. Zum Beispiel besagt das Argument [``]{.arg} im Wesentlichen, dass "der Zusammenhang zwischen Sex und Gewalt auf der Mattscheibe und im echten Leben alles andere als klar" ist. Dieser Gedanke lässt sich aber kaum verstehen als Einwand gegen das Zensurgebot, d.h. als Begründung dafür, dass staatliche Zensur niemals geboten ist. Vielmehr bezieht sich [``]{.arg} unmittelbar auf eine der Voraussetzungen von [``]{.arg}, denn [``]{.arg} argumentiert für ein partikuläres Zensurgebot gerade mit Verweis auf den Zusammenhang, der in [``]{.arg} dann bestritten wird. Angemessener ist es daher, [``]{.arg} nicht als direkten Einwand gegen das Zensurgebot, sondern als direkten Einwand gegen eine Begründung des Zensurgebots aufzufassen. Nur indirekt, vermittelt über [``]{.arg}, spricht [``]{.arg} somit gegen das Zensurgebot. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot] <+ : Bestimmte Literaturformen oder visuelle Darstellungen sind auf überzeugende Weise mit Kriminalität in Verbindung gebracht worden. ... <- : Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen Sex und Gewalt auf der Mattscheibe und im echten Leben alles andere als klar. ... ``` Auch in den anderen `Con`-Gründen finden sich Überlegungen, die sich am plausibelsten als Repliken auf den jeweiligen `Pro`-Grund verstehen lassen. [``]{.arg} führt an, dass Gesetzgebung gegen Volksverhetzung überwiegend kontraproduktiv ist. [``]{.arg} und [``]{.arg} machen u.a. geltend, dass gesetzliche Verbote medialer Inhalte sehr leicht umgangen werden können und daher unwirksam sind. [``]{.arg} verweist u.a. darauf, dass es andere Wege als die Zensur gibt, die Privatsphäre öffentlicher Personen zu schützen. --- Aber in all diesen Gründen geschieht auch viel mehr als bloß das. Lesen wir erneut [``]{.arg}. ::: {.small custom-style="Zitat"} > \[Con1\] Zensur ist prinzipiell falsch. Wie heftig wir auch dem Standpunkt oder den Äußerungen einer Person widersprechen mögen, in einer zivilisierten Gesellschaft muss sie frei sein, sich so zu äußern. Zensur, wie etwa die Gesetzgebung gegen Volksverhetzung, treibt Rassisten und andere nur in den Untergrund, sodass dieser Teil unserer Gemeinschaft ghettoisiert wird und sich verschanzt, anstatt dass seine Mitglieder in eine offene und vernünftige Debatte einbezogen werden. ::: Der dritte Satz ist die Replik auf das Volksverhetzungs-Argument in [``]{.arg}. Der erste Satz hingegen bekräftigt die zentrale These [`[Zensurverbot]`]{.the}, und der zweite Satz begründet diese These mit Verweis auf die Meinungsfreiheit -- tatsächlich hatten wir uns ja bereits verdeutlicht, dass [`[Zensurverbot]`]{.the} aus der allgemeineren These [`[Meinungsfreiheit]`]{.the} folgt. Einen wiederum ganz anderen Verlauf nimmt der Gedankengang in [``]{.arg}. ::: {.small custom-style="Zitat"} > \[Con3\] Derartige Formen staatlicher Regulierung sind notorisch wirkungslos. Kinder jedweden Alters haben Zugang zu Videos, Spielen und Onlineinhalten mit "Altersfreigabe 18", wenn sie es wirklich wollen. Letztendlich kann und muss der einzig effektive Schutz der Kinder vor unangemessenen Inhalten von den Eltern kommen. Und dieser Schutz ist keine staatliche Zensur, sondern basiert auf individueller Wahl und Kontrolle der Eltern. Dort gehören solche Entscheidungen hin. ::: Hier stellen die ersten zwei Sätze die Erwiderung auf [``]{.arg} dar. Aber dann wird noch mehr behauptet, als für die Widerlegung von [``]{.arg} erforderlich zu sein scheint. Wenn Zensur wirkungslos ist, dann ist das Jugendschutz-Argument [``]{.arg} vom Tisch. Warum also sich noch dazu äußern, wie Kinder stattdessen wirkungsvoll geschützt werden? Eine erste Interpretation besteht darin, dass ein unausgesprochener (aber drohender) Gegeneinwand vorsorglich entkräftet wird: \tafel{tafel:con3-v1} ```argdown [Zensurgebot] <+ : ... <- : "Derartige Formen staatlicher Regulierung sind notorisch wirkungslos. Kinder jedweden Alters haben Zugang zu Videos, Spielen und Onlineinhalten mit "Altersfreigabe 18", wenn sie es wirklich wollen." <- /*Antizipierter, aber unausgesprochener Gegeneinwand gegen :*/ Zensur ist aber die einzige Maßnahme, die wir zum Schutz unserer Kinder haben. Auch wenn sie notorisch wirkungslos erscheint, sollten wir sie daher ergreifen. <- : "Letztendlich kann und muss der einzig effektive Schutz der Kinder vor unangemessenen Inhalten von den Eltern kommen. Und dieser Schutz ist keine staatliche Zensur, sondern basiert auf individueller Wahl und Kontrolle der Eltern." ``` Eine alternative Interpretation dieses Abschnitts erkennt im zweiten Teil von [``]{.arg} eine weitere Erwiderung auf [``]{.arg}, die von der ersten Erwiderung unabhängig ist und diese ergänzt. Dazu reformulieren wir leicht: \tafel{tafel:con3-v2} ```argdown [Zensurgebot] <+ : ... <- : "Derartige Formen staatlicher Regulierung sind notorisch wirkungslos. Kinder jedweden Alters haben Zugang zu Videos, Spielen und Onlineinhalten mit "Altersfreigabe 18", wenn sie es wirklich wollen." <- : Selbst wenn staatliche Zensur nicht gänzlich wirkungslos sein sollte, so gibt es doch einen viel effektiveren Schutz der Kinder vor unangemessenen Inhalten. Und dieser Schutz ist keine staatliche Zensur, sondern basiert auf individueller Wahl und Kontrolle der Eltern." ``` Tafel\ \ref{tafel:con3-v1} und Tafel\ \ref{tafel:con3-v2} stellen zwei konkurrierende Interpretationshypothesen dar. Wir verfolgen im Weiteren die zweite dieser Hypothesen. Im Vergleich zu dem in Tafel\ \ref{tafel:con3-v2} rekonstruierten Einwand [``]{.arg} steigert [``]{.arg} nochmals die Komplexität der Argumentation. Zunächst erwidert [``]{.arg} das Argument [``]{.arg}, welches für staatliche Zensur im Kontext von Kinder- und Hardcore-Pornografie plädiert, ganz analog zu [``]{.arg}: ::: {.small custom-style="Zitat"} > \[Con4\] Nochmals: Leute werden Pornographie in die Hände bekommen, sodenn sie es wollen. Zensur wird die Anzahl derer, die Pornographie nutzen, nicht verändern. Es ist Aufgabe der Eltern und der Gemeinschaft, Kinder so zu erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben -- und es ist nicht Aufgabe des Staates, unwirksame Gesetzgebung darüber zu erlassen, welche Arten von Fotos veröffentlicht werden dürfen. ::: Dann fährt der Einwand fort: ::: {.small custom-style="Zitat"} > Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben. Pornographie hat nur auf diejenigen einen heimtückischen Einfluss, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. ::: Hier kommt man ins Stutzen: Kinderpornografie hat keinen schädlichen Einfluss ... wirklich? Und wie passt das zur folgenden Behauptung, dass Kinderpornografie auf Grundlage bestehender Gesetze bekämpft werden sollte? ::: {.small custom-style="Zitat"} > Der Verweis auf Kinderpornographie führt hier in die Irre -- denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. ::: Der Gedankengang wird verständlicher, wenn man annimmt, dass hier Differenzierungen aufgegriffen werden, die bereits in [``]{.arg} angelegt sind. So trifft [``]{.arg} zwei Unterscheidungen: erstens zwischen der Rezeption und Produktion von Pornografie sowie zweitens zwischen Hardcore- und Kinderpornographie. Schädliche Folgen und Schutzbedürftigkeit werden für die aus den Unterscheidungen resultierenden Fälle gesondert bewertet. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot] <+ : Staatliche Zensur ist im Kontext von Kinder- und Hardcore-Pornografie erforderlich. ... /*Bezüglich der Rezeption und Produktion gilt:*/ <- : Nochmals: ... Zensur wird die Anzahl derer, die Pornographie nutzen, nicht verändern. /*Bezüglich der Rezeption gilt:*/ <- : Selbst wenn staatliche Zensur nicht gänzlich wirkungslos sein sollte, so gibt es doch einen viel effektiveren Schutz der Kinder vor unangemessenen Inhalten. Es ist Aufgabe der Eltern und der Gemeinschaft, Kinder so zu erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben. /*Bezüglich der Rezeption gilt:*/ <- : Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben. Pornographie hat nur auf diejenigen einen heimtückischen Einfluss, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. /*Bezüglich der Produktion von Kinderpornographie gilt:*/ <- : Der Verweis auf Kinderpornographie führt hier in die Irre – denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. ``` Gemäß dieser Interpretation der argumentativen Zusammenhänge bestreitet [``]{.arg}, dass die _Rezeption_ von Pornografie überhaupt einen nennenswerten schädlichen Einfluss hat, und bezweifelt daher, dass es überhaupt einen Schutzbedarf der Rezipienten gibt -- wie [``]{.arg} mutmaßlich unterstellt. Gleichzeitig behauptet [``]{.arg} aber, dass Pornografie sehr wohl auf einige einen "heimtückischen" Einfluss haben kann. Wie passt das nun wiederum zusammen? Zählen die betroffenen Personen nicht? Wenn man das Argument [``]{.arg} hingegen nicht als direkten Einwand gegen [``]{.arg}, sondern als weitere Untermauerung des Einwands [``]{.arg} interpretiert und entsprechend reformuliert, so erscheint es viel plausibler: \tafel{} ```argdown [Zensurgebot] <+ : ... <- : ... <- : Selbst wenn staatliche Zensur nicht gänzlich wirkungslos sein sollte, so gibt es doch einen viel effektiveren Schutz der (potentiellen) Rezipienten von Pornographie: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft. <+ : Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben, sondern nur auf diejenigen, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. Die Eltern und die Gemeinschaft können Kinder aber so erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben und so vor Pornographie geschützt sind. ``` Halten wir einen Moment inne. Aus der einfachen Pro-Kontra-Liste (Tafel\ \ref{tafel:pro-con-liste1}) sind viele, mehr oder weniger komplexe, zum Teil sich ergänzende, zum Teil rivalisierende Gründehierarchien entstanden, in denen die argumentativen Funktionen der verschiedenen Überlegungen und die dialektische Struktur der Debatte skizziert werden. \mymnote{Begriffserläuterung} ::: {.def custom-style="Definition"} In Bezug auf eine zentrale These begründen *Gründe ersten Grades*, dass die These wahr oder falsch ist. *Gründe zweiten Grades* begründen, dass ein Grund ersten Grades wahr oder falsch ist. Und allgemein begründen Gründe des Grades _i_, dass ein Grund des Grades _i_-1 wahr oder falsch ist (_i_>1). Gründe, die nicht Gründe ersten Grades sind, nennen wir *Gründe höheren Grades*. Gründe ersten und höheren Grades bilden eine 'geschachtelte' Pro-Kontra-Liste: eine *Gründehierarchie*. ::: Diese Gründehierarchien haben wir erstellt, indem wir uns folgende Fragen vorgelegt haben: 1. *Wofür* oder *wogegen* ist Überlegung X genau ein Grund? 2. Ist Überlegung X *ein* Grund oder handelt es sich um *mehrere* Gründe? 3. Gibt es vielleicht *unausgesprochene* Gründe oder Thesen, auf die sich X bezieht und die deshalb in die Gründehierarchie eingefügt werden sollten? 4. Welche -- unter Umständen vom Text abweichende -- *Formulierung* gibt den Grund X angemessen wieder? Durch Beantwortung dieser Fragen haben wir versucht, eine möglichst plausible Sichtweise auf die Argumentation zu entwickeln. Dabei haben wir uns bisher auf unsere argumentative Urteilskraft und unser implizites Wissen verlassen. Im Folgenden werden wir dieses Vorgehen schrittweise systematisieren. Das wird uns erlauben, (i) viel differenziertere Argumentationsanalysen anzufertigen und (ii) unsere Interpretationsentscheidungen besser zu begründen. ## 1.3. Wir identifizieren Prämissen sowie Konklusionen und rekonstruieren eine Argumentkarte Wir systematisieren unsere Analyse, indem wir komplexe Argumentationen als Argumentkarten rekonstruieren. Argumentkarten bestehen aus Thesen und Argumenten, die in verschiedenen dialektischen Beziehungen zueinander stehen können. \mymnote{Begriffserläuterung} ::: {.def custom-style="Definition"} Ein *Argument* besteht aus einer Aussage (der *Konklusion*), die durch andere Aussagen (die *Prämissen*) begründet wird -- oder zumindest begründet werden soll. Für die Argumentationsanalyse ist es ganz zentral, folgende Eigenschaften eines Arguments zu unterscheiden: 1. *Status der Prämissen.* Sind die Prämissen wahr oder plausibel? Sind die Prämissen gut begründet? Sind die Prämissen umstritten? ... 2. *Status der Konklusion.* Ist die Konklusion wahr oder plausibel? Sprechen für die Konklusion andere Gründe? Ist die Konklusion umstritten? ... 3. *Beziehung zwischen Prämissen und Konklusion.* Begründen die Prämissen überhaupt die Konklusion? Ist der Schluss von den Prämissen auf die Konklusion deduktiv gültig? Handelt es sich um ein nicht-deduktiv korrektes Argument, zum Beispiel um eine starke induktive Begründung? ::: Ein wesentliches Ziel der Argumentationsanalyse ist es, einzelne Argumente so zu interpretieren, dass zwischen Prämissen und Konklusion eine geeignete Begründungsbeziehung besteht, und, sofern das nicht gelingt, das Fehlen einer solchen Begründungsbeziehung kenntlich zu machen. Es gibt verschiedene *dialektische Beziehungen* in einer Argumentkarte, die sich aus den logisch-inferentiellen Beziehungen zwischen den Prämissen und Konklusionen der Argumente sowie den Thesen ergeben. Die dialektischen Beziehungen zwischen einer These und einem Argument sind wie folgt definiert: - _Die These stützt das Argument (greift es an)_ genau dann, wenn die These mit einer Prämisse des Arguments identisch ist (bzw. dieser widerspricht). - _Das Argument stützt die These (greift sie an)_ genau dann, wenn die Konklusion des Arguments mit der These identisch ist (bzw. dieser widerspricht). Die dialektischen Beziehungen zwischen zwei Argumenten sind wie folgt definiert: - _Das Argument A stützt das Argument B_ genau dann, wenn die Konklusion von Argument A mit einer Prämisse des Arguments B identisch ist. - _Das Argument A greift das Argument B_ genau dann _an_, wenn die Konklusion von Argument A einer Prämisse des Arguments B widerspricht. ![Dialektisches Quadrat](./abb/dialektisches_quadrat.pdf){width=80%} Für die *vorläufige Skizze* einer Argumentkarte kann der Gebrauch der folgenden Beziehungen ebenfalls nützlich sein: - _Die These untergräbt das Argument_ genau dann, wenn mit der These in Frage gestellt wird, dass zwischen den Prämissen des Arguments und seiner Konklusion eine geeignete Begründungsbeziehung besteht. - _Das Argument A untergräbt das Argument B_ genau dann, wenn mit der Konklusion von Argument A in Frage gestellt wird, dass zwischen den Prämissen des Arguments B und seiner Konklusion eine geeignete Begründungsbeziehung besteht. Die Definitionen der dialektischen Beziehungen in Argumentkarten legen nicht nur die Bedeutung der Stützungs- und Angriffsbeziehungen zwischen den Argumenten fest, sie geben uns zugleich auch Regeln für die Erstellung von Argumentkarten an die Hand. Zum Beispiel sollten wir nur dann eine Stützungsbeziehung zwischen zwei Argumenten notieren, wenn die Konklusion des einen mit einer Prämissen des anderen identisch ist. \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Faustregeln für die Erstellung von Argumentkarten: 1. Genau ein Argument pro Argumentkasten. (``No A-box without reasoning!'') 2. Eine Aussage pro Thesenkasten. (``No reasoning in T-boxes!'') 3. Ein Argument kann maximal eine These stützen. 4. Ein Argument kann mehrere Argumente stützen bzw. angreifen; gleichwohl deuten viele ausgehende Pfeile darauf hin, dass ein Argumentkasten tatsächlich für verschiedene Argumente steht, die unterschieden und gesondert visualisiert werden sollten. ::: Die bisher rekonstruierte Gründehierarchie überführen wir nun exemplarisch in eine Argumentkarte. Ausgangspunkt dafür ist der folgende Stand der Analyse (des Abschnitts `Pro4–Con4`), in dem die verschiedenen Argumente bereits aussagekräftig betitelt sind. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ : Staatliche Zensur ist im Kontext von Kinder- und Hardcore-Pornografie erforderlich. Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden. Und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. {quelle: Pro4} <- : Nochmals: Leute werden Pornographie in die Hände bekommen, sodenn sie es wollen. Zensur wird die Anzahl derer, die Pornographie nutzen, nicht verändern. {quelle: Con4} <- : Selbst wenn staatliche Zensur nicht gänzlich wirkungslos sein sollte, so gibt es doch einen viel effektiveren Schutz der (potentiellen) Rezipienten von Pornographie: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft. {quelle: Con4} <+ : Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben, sondern nur auf diejenigen, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. Die Eltern und die Gemeinschaft können Kinder aber so erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben und so vor Pornographie geschützt sind. {quelle: Con4} <- : Bezüglich der schädlichen Auswirkungen der Produktion von Pornografie gilt: Der Verweis auf Kinderpornographie führt hier in die Irre – denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. {quelle: Con4} ``` Wo fangen wir jetzt mit der genauen Analyse an? Eine bewährte und nützliche Faustregel zum Vorgehen lautet: \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Bei der Analyse sollte man 1. von der zentralen These oder der Konklusion ausgehen; 2. eine komplexe Argumentation in kleine, überschaubare Teile zergliedern; 3. die einzelnen Argumentationsschritte Stück für Stück, entgegen der Begründungsrichtung, rekonstruieren. ::: Wenn wir das Bild einer Debatte vor Augen haben, in deren Kern die zentralen Thesen stehen, dann rekonstruieren wir die Debatte von innen nach außen. Stellen wir uns eine Argumentation als Liste aufeinanderfolgender Begründungsschritte vor, die in der Konklusion münden, so rekonstruieren wir von unten nach oben. Beginnen wir also bei der zentralen These. Begründet das Pro-Argument [``]{.arg} die These [`[Zensurgebot]`]{.the}? Dazu müssen wir klären, ob die Konklusion des Arguments mit der These identisch ist (oder diese zumindest offenkundig impliziert). Und dazu müssen wir verstehen, wie überhaupt die Konklusion des Arguments lautet. Liest man das Pro-Argument unter diesem Gesichtspunkt erneut, lässt sich erahnen, dass hier der erstgenannte Satz begründet werden soll. Und der erste Satz klingt auch schon ganz ähnlich wie die These [`[Zensurgebot]`]{.the}. Wenn wir diesen Satz paraphrasieren (statt "erforderlich sein" behaupten "geboten sein") und wenn wir "staatliche Zensur" im Sinne von [`[Zensurgebot]`]{.the} verstehen, wird deutlich, dass die Konklusion des Arguments die These impliziert. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ : Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. _Denn_ Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden. Und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. {quelle: Pro4} ``` In der Formulierung des Arguments haben wir mit "denn" auch kenntlich gemacht, was zur Konklusion und was zum Begründungsteil gehört. Im Begründungsteil werden zwei verschiedene Ziele (nämlich erstens Schutz bestimmter Personengruppe im Kontext der Produktion von Pornografie und zweitens Schutz bestimmter Personengruppen im Kontext der Rezeption) genannt. Aufgrund dieser Ziele ist eine gesetzliche Zensur von Pornografie geboten. Das tönt soweit plausibel. Gehen wir einen Schritt weiter, zum Argument [``]{.arg}. In unserer bisherigen Interpretation handelt es sich um einen Einwand gegen [``]{.arg}. Lässt sich diese Hypothese durch eine genauere Analyse bestätigen? Eine zentrale Aussage im Argument [``]{.arg} ist, dass gesetzliche Zensur von Pornographie die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen wird und in diesem Sinne völlig unwirksam ist. Handelt es sich dabei auch um die Konklusion des Arguments? Zumindest lassen sich die weiteren Behauptungen im Kontext von `Con4-1` -- aber auch im Kontext der analogen Überlegung `Con3-1`, auf die verwiesen wird -- als Begründung der Ineffektivität gesetzlicher Zensur verstehen. Nehmen wir also an, die Konklusion von [``]{.arg} lautet, dass gesetzliche Zensur von Pornografie wirkungslos ist. Was bedeutet das für die dialektische Funktion des Arguments? Greift [``]{.arg} tatsächlich [``]{.arg} an, wie wir in der Gründehierarchie gemutmaßt haben? Nun, [``]{.arg} führt als Prämissen einzig zwei Ziele an. Mit der Konklusion von [``]{.arg} wird keines dieser Ziele bestritten. Und [``]{.arg} behauptet auch gar nicht explizit, dass gesetzliche Zensur wirksam ist. Besteht demnach gar keine dialektische Beziehung zwischen den Argumenten? Läuft der Einwand ins Leere? Aber intuitiv scheint [``]{.arg} doch ein relevanter Einwand zu sein! Vor dem Hintergrund unserer bisherigen Analyse können wir die Funktion des Einwands aber vielleicht so beschreiben: [``]{.arg} bestreitet nicht die Prämissen des Arguments [``]{.arg}, sondern bezweifelt vielmehr, dass sich aus den zwei Prämissen die Konklusion ergibt. [``]{.arg} untergräbt [``]{.arg}. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ : Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. Denn Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden. Und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. {quelle: Pro4} <_ : Gesetzliche Zensur von Pornographie wird die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen und ist in diesem Sinne völlig unwirksam. Leute, auch Kinder und Jugendliche, werden Pornographie in die Hände bekommen, sodenn sie es wirklich wollen. {quelle: Con4, Con3} ``` Warum genau untergräbt [``]{.arg} mit seiner Konklusion das Pro-Argument? Manchmal ist es einfacher, sich argumentative Zusammenhänge abstrakt zu verdeutlichen. Das Pro-Argument begründet eine gesetzliche Maßnahme mit Blick auf bestimmte Ziele. Um eine Maßnahmen zu begründen, ist es aber niemals ausreichend, einzig auf Ziele zu verweisen. Ziele begründen eine Maßnahme höchstens unter der Annahme, dass die Maßnahme zur Zielerreichung beiträgt und in diesem Sinne effektiv ist. [``]{.arg} untergräbt das Pro-Argument, weil dessen unausgesprochene Effektivitäts-Annahme angezweifelt wird. Aber wenn die Effektivitäts-Annahme ohnehin im Argument [``]{.arg} vorausgesetzt wird, können wir sie dort auch explizit aufführen. Dann wird deutlich, gegen welche Prämisse sich der Einwand [``]{.arg} richtet. Aus diesem Einwand wird ein Angriff im engeren Sinne, indem wir die Negation der Effektivitäts-Annahme als seine eigentliche Konklusion setzen. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ : Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. Denn Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden; und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. *Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung und die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen.* {quelle: Pro4} <- : Eine gesetzliche Zensur von Pornographie ist unwirksam: sie schützt weder Kinder und junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung noch die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen. Denn gesetzliche Zensur wird die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen. Denn Leute, auch Kinder und Jugendliche, werden Pornographie immer in die Hände bekommen, sodenn sie es wirklich wollen. {quelle: Con4, Con3} ``` \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Bei der Rekonstruktion einer Argumentation als Argumentkarte sollte man immer versuchen, Beziehungen der Art "Argument A *untergräbt* Argument B" auf gewöhnliche Angriffsbeziehungen im oben definierten Sinne zurückzuführen, indem man unausgesprochene Annahmen des untergrabenen Arguments B, gegen die sich A richtet, explizit macht. ::: Gehen wir weiter, zum Einwand [``]{.arg}. \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: ... <+ : ... <- : Selbst wenn staatliche Zensur nicht gänzlich wirkungslos sein sollte, so gibt es doch einen viel effektiveren Schutz der (potentiellen) Rezipienten von Pornographie: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft. {quelle: Con4} ``` Dieser Einwand wird mit einer "Selbst-Wenn-Formel" eingeleitet. Dabei handelt es sich nicht um eine Konzession; es wird ja nicht zugestanden, dass staatliche Zensur doch wirkungsvoll ist. Vielmehr wird hier der Status und die dialektische Funktion des Einwands erläutert: Der Einwand [``]{.arg} ist unabhängig vom Einwand [``]{.arg} und läuft insbesondere nicht darauf (auf die Konklusion) hinaus, dass staatliche Zensur gänzlich wirkungslos ist. Worin besteht dann der Einwand? Es wird behauptet (Konklusion), dass es einen effektiveren Schutz der (potentiellen) Rezipienten von Pornographie als die gesetzliche Zensur gibt. Und als Begründung wird dafür angeführt: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft bietet einen effektiveren Schutz als gesetzliche Zensur. In dieser Lesart stellt sich aber erneut das Problem, dass [``]{.arg} keine Prämisse des mutmaßlich angegriffenen Pro-Arguments in Frage stellt. Oder gibt es eine implizite Prämisse des Pro-Arguments, gegen die sich der Einwand richtet? Beschreiben wir die Situation wieder abstrakt: [``]{.arg} begründet eine Maßnahme damit, dass es zwei Ziele gibt, die erreicht werden sollen, und dass die Maßnahme dazu führt, dass die Ziele erreicht werden. Dies wäre aber keine besonders überzeugende Begründung, wenn es eine Alternativmaßnahme gäbe, mit der ebenfalls die Ziele erreicht werden könnten und die zugleich geeigneter (effektiver, günstiger, einfacher etc.) wäre. Machen wir diese unausgesprochene Voraussetzung explizit, so lässt sich [``]{.arg} wie folgt interpretieren: \tafel{} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ : Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. Denn Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden; und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden. Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung und die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen. *Außerdem gibt es keine Alternativmaßnahme, die ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist.* {quelle: Pro4} <- : Es gibt einen effektiveren Schutz der (potentiellen) Rezipienten von Pornographie als die gesetzliche Zensur. Denn: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft bietet einen effektiveren Schutz als die gesetzliche Zensur. {quelle: Con4} ``` Es gibt noch eine Schwierigkeit mit dieser Analyse, die deutlicher zu Tage tritt, wenn wir das Pro-Argument in Standardform (mit drei Prämissen) darstellen. \tafel{tafel:pro4-pcs1} ```argdown {quelle: Pro4} (1) Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden (Ziel 1); und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden (Ziel 2). (2) Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung (Ziel 1) und sie schützt die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen (Ziel 2). (3) Außerdem gibt es keine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf Ziel 1 *und* Ziel 2 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. ---- (4) Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. ``` Gemäß bisheriger Interpretation bestreitet [``]{.arg} die Prämisse (3) des obigen Arguments. Genau betrachtet ist das aber gar nicht der Fall. Denn Prämisse (3) besagt, dass es keine geeignetere Alternativmaßnahme gibt, mit der beide Ziele 1 und 2 effektiv erreicht werden; um dies zu bestreiten, muss man behaupten, dass es eine geeignetere Alternativmaßnahme gibt, mit der *beide Ziele 1 und 2* realisiert werden. Doch die Konklusion von [``]{.arg} behauptet weniger, nämlich, dass es eine geeignetere Alternativmaßnahme gibt, mit der *das Ziel 2* effektiv realisiert wird. [``]{.arg} sagt nichts über den Schutz vor Ausbeutung durch Pornografen (Ziel 1). Was bedeutet das für unsere Interpretation? Uns stehen mehrere Optionen für das weitere Vorgehen zur Verfügung: - *Strategie 1*: Der Einwand [``]{.arg} läuft allem Anschein zum Trotz ins Leere und richtet sich tatsächlich nicht gegen das Pro-Argument. - *Strategie 2*: Uns gelingt es, das Pro-Argument so umzuinterpretieren, dass deutlicher wird, wie sich der Einwand darauf bezieht. - *Strategie 3*: Wir interpretieren den Einwand als Teil einer größeren Argumentation, die sich gegen eine Prämisse des Pro-Arguments richtet. Als wohlwollende Interpreten sollten wir Option 1 nur dann als Ergebnis unserer Analyse ausgeben, wenn die Rekonstruktionsstrategien 2 und 3 scheitern (vgl. auch die Maxime auf S.\ XXX). Probieren wir es mit *Strategie 2*. Gibt es eine plausible Re-Interpretation von [``]{.arg}? Abstrakt beschrieben läuft das Argument so: Eine Maßnahme wird damit begründet, dass (i) es zwei Ziele gibt, die beide geboten sind, dass (ii) die Maßnahme dazu führt, dass beide Ziele erreicht werden, und dass (iii) es keine geeignetere Alternativmaßnahme gibt, die sowohl das eine als auch das andere Ziel herbeiführt. Diese Beschreibung legt nahe, das Argument als *zwei unabhängige Begründungen* der Maßnahme zu interpretieren: Es gibt ein Ziel-1-Argument und ein weiteres Ziel-2-Argument. Konkret bedeutet das: \tafel{} ```argdown {quelle: Pro4} (1) Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden (Ziel 1). (2) Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung (Ziel 1). <- (3) Außerdem gibt es keine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf Ziel 1 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. ---- (4) Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. {quelle: Pro4} (1) Die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden (Ziel 2). (2) Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen (Ziel 2). <- (3) Außerdem gibt es keine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf Ziel 2 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. <- ---- (4) Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. ``` Wie in den Standarddarstellungen notiert, fügen sich die bisher analysierten Einwände ganz nahtlos in diese Rekonstruktion ein. [``]{.arg} richtet sich einzig gegen die Prämisse (3) des zweiten Pro-Arguments. Der Einwand [``]{.arg} bestreitet hingegen -- zumindest gemäß bisheriger Analyse -- die Effektivitätsannahmen in beiden Argumenten (jeweils Prämisse 2). Die Interpretation von [``]{.arg} als Einwand gegen Prämisse (3) in [``]{.arg} legt fest, wie die Konklusion des Einwands lauten muss, was uns wiederum erlaubt, die Darstellung des Arguments zu präziseren. \tafel{} ```argdown <- : Es gibt eine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf den Schutz der Gesellschaft vor den schäbigen Einstellungen – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. Denn: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft bietet einen effektiveren Schutz als die gesetzliche Zensur und ist zugleich geeigneter. {quelle: Con4} <+ : Letztendlich werden pornographische Bilder und Filme keinen wirklich schädlichen Einfluss auf einen ausgeglichenen Geist haben, sondern nur auf diejenigen, die ohnehin aus anderen Gründen unausgeglichen sind. Die Eltern und die Gemeinschaft können Kinder aber so erziehen, dass sie gesunde Einstellungen haben und so vor Pornographie geschützt sind. {quelle: Con4} ``` Das Argument [``]{.arg} kann nun schlüssig als Stützung der in [``]{.arg} genannten Prämisse verstanden werden. Damit kommen wir zum *red herring*-Einwand [``]{.arg}: Dem Vorwurf, dass der Verweis auf Kinderpornografie in die Irre führt. Die ursprüngliche Interpretationshypothese lautete, dass es sich um einen Einwand gegen das Pro-Argument [``]{.arg} handelt -- allerdings analysieren wir das Pro-Argument inzwischen als zwei verschiedene Argumente. Lässt sich der Einwand [``]{.arg} auf eines dieser Argumente beziehen? Offenkundig ja, denn der Einwand behauptet, contra Prämisse (3) in [``]{.arg}, dass es sehr wohl eine Alternativmaßnahme gibt, die ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist: nämlich die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze, denen zufolge Kinderpornografie illegal ist. Die Bemerkung im Text, dass der "Verweis auf Kinderpornographie [...] hier in die Irre [führt]" (s.o.), begründet dabei nicht die Konklusion des Einwands. Es handelt sich vielmehr um einen Hinweis zum Status und zur Funktion des Einwands. Diesem Hinweis auf der Metaebene trägt unsere Interpretation Rechnung, indem wir die Überlegung als Einwand gegen das Ausbeutungs-Argument, das auf Kinderpornographie Bezug nimmt, deuten. \tafel{} ```argdown <- : Es gibt eine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf den Schutz vor Ausbeutung durch Pornografen – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist, nämlich die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze. Denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und es werden keine weiteren Zensurgesetze benötigt, um sie zu bekämpfen. {quelle: Con4} <- ``` Die Tatsache, dass wir den *red herring*-Vorwurf problemlos in unsere bisherige Rekonstruktion integrieren können, kann als weitere Bestätigung des Interpretationsansatzes gewertet werden. Weil wir -- gemäß *Strategie 2* -- das zentrale Pro-Argument als zwei voneinander unabhängige Argumente uminterpretieren, gelingt es, sämtliche Überlegungen im hier analysierten Ausschnitt der Beispieldebatte als dialektisch aufeinander bezogene Argumente zu rekonstruieren. Im Zuge dieser Analyse haben wir die einzelnen Argumente deutlich präzisiert. Weiter oben, im Anschluss an Tafel\ \ref{tafel:pro4-pcs1}, wurde noch eine dritte Interpretationsmöglichkeit skizziert. *Strategie 3* besteht darin, den Einwand [``]{.arg} als Teil einer größeren Argumentation zu deuten, die sich gegen Prämisse (3) des Pro-Arguments [``]{.arg} richtet. Folgen wir kurz dieser Alternativstrategie. Laut Prämisse (3) des Pro-Arguments [``]{.arg}, gibt es keine Alternativmaßnahme, die -- in Bezug auf Ziel 1 *und* Ziel 2 -- ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. Das Argument [``]{.arg} begründet, dass es eine Alternativmaßnahme\ 1 gibt, die bzgl. Ziel\ 1 geeigneter und effektiver ist. Das Argument [``]{.arg} begründet, dass es eine Alternativmaßnahme\ 2 gibt, die bzgl. Ziel\ 2 geeigneter und effektiver ist. Daraus scheint aber zu folgen, dass das Maßnahmenbündel selbst, bestehend aus Alternativmaßnahme\ 1 und Alternativmaßnahme\ 2, bzgl. der Ziele\ 1 *und* 2 effektiver und geeigneter als die gesetzliche Zensur ist -- im Widerspruch zur Prämisse (3) des Arguments [``]{.arg}. Auch die *Strategie 3* erlaubt es uns demnach, den Ausschnitt der Debatte als eine sinnvoll aufeinander bezogene Argumentation zu interpretieren: \tafel{tafel:pro4-con4-s2} ```argdown [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. <+ <- : Es gibt eine Alternativmaßnahme (ein Bündel von Maßnahmen), die – in Bezug auf Ziel 1 *und* Ziel 2 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. Denn erstens gibt es eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf Ziel 1. Und zweitens gibt es eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf Ziel 2. <+ : Es gibt eine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf den Schutz vor Ausbeutung durch Pornografen – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist, nämlich die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze. Denn Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. <+ : Es gibt es eine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf den Schutz der Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. Denn: Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft bietet einen effektiveren Schutz als die gesetzliche Zensur und ist zugleich geeigneter. <+ ``` Damit haben wir zwei verschiedene Rekonstruktionen entwickelt, die beim jetzigen Stand als gleichermaßen plausible Interpretationen des Debattenausschnitts gelten können. \mymnote{Zur Vertiefung} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Die Rekonstruktionsansätze *Strategie 2* und *Strategie 3* unterscheiden sich im Kern darin, wie die einzelnen Argumente 'zugeschnitten' werden. Sie beantworten die Fragen, welche Prämissen zu ein und demselben Argument gehören, und welche in verschiedene Argumente eingehen, unterschiedlich. Nach *Strategie 2* gehören zum Beispiel die zwei Zielsetzungsprämissen zu ein und demselben Argument, nach *Strategie 3* hingegen nicht. In der argumentationstheoretischen Literatur werden sehr einfache, idealtypische Muster unterschieden, die das jeweils unterschiedliche Zusammenwirken mehrerer Prämissen in der Begründung einer Konklusion charakterisieren [@Henkemans2000]. Die Aussagen *P~1~*, *P~2~* usw. bilden einen *Begründungsverbund* (*linked argumentation*) zugunsten der Konklusion *K*, wenn die Aussagen Prämissen ein und desselben Arguments mit der Konklusion *K* sind. ```argdown [Konklusion] <+ <+ [Prämisse 1] <+ [Prämisse 2] <+ [Prämisse 3] ``` Die Aussagen *P~1~*, *P~2~* usw. bilden eine *parallele Argumentation* zugunsten der Konklusion *K*, wenn die Aussagen Prämissen je verschiedener Argumente mit der Konklusion *K* sind. ```argdown [Konklusion] <+ <+ [Prämisse 1] <+ <+ [Prämisse 2] <+ <+ [Prämisse 3] ``` Die Aussagen *P~1~*, *P~2~* usw. bilden eine *serielle Argumentation* zugunsten der Konklusion *K*, wenn die Aussagen Prämissen je verschiedener Argumente in einer Stützungskette zugunsten *K* sind. ```argdown [Konklusion] <+ <+ [Prämisse 1] <+ <+ [Prämisse 2] <+ <+ [Prämisse 3] ``` Welche dieser Strukturen einem gegebenen argumentativen Gedankengang zu Grunde liegt, lässt sich erst anhand des Resultate eines Rekonstruktionsprozesses entscheiden. Unsere Beispielanalyse zeigt ferner, dass es Begründungsgänge gibt, die sich sowohl als Begründungsverbund als auch als parallele Argumentation gleichermaßen plausibel interpretieren lassen. ::: ## 1.4. Wir führen logische Analysen durch und fertigen Detailrekonstruktionen der Argumente an Indem wir uns zwangen, die Kontroverse als Argumentkarte zu rekonstruieren, haben wir unser Vorgehen systematisiert und konnten uns ein viel genaueres Bild der Argumente und ihrer Zusammenhänge verschaffen. In einem wichtigen Punkt haben wir uns dabei aber weiterhin auf unsere logische Urteilskraft und unser implizites Wissen verlassen -- nämlich in Bezug das Bestehen einer Begründungsbeziehung zwischen den Prämissen eines Arguments und seiner Konklusion. Ob aus gegebenen Prämissen tatsächlich eine Konklusion folgt, ob in eine solche Begründung weitere unausgesprochene Prämissen eingehen und ob zur Begründung der Konklusion jede der aufgeführten Prämissen erforderlich ist, das ist für das Verständnis einer Argumentation elementar. Ganz allgemein gilt: Wer sich in solchen Fragen fortwährend irrt, kann nicht von sich behaupten, Argumente zu verstehen. Und insbesondere ist es für die Erstellung einer Argumentkarte bedeutsam, zu erkennen, welche Prämissen genau in einem Argument vorausgesetzt werden; denn davon hängt, ob sich Argumente stützend und angreifend aufeinander beziehen oder nicht. Zur weiteren Systematisierung unseres Vorgehens werden wir von nun an versuchen, jedes Argument so zu rekonstruieren, dass gilt: 1. aus den genannten Prämissen folgt zwingend die Konklusion; 2. jede der Prämissen ist für die zwingende Begründung der Konklusion erforderlich. Das erste Kriterium verlangt, dass die Argumente als deduktiv gültig rekonstruiert werden. Das zweite Kriterium fordert, dass alle Prämissen in einem Argument relevant sind. Beide Kriterien bilden eine Interpretationsmaxime, die ich *rekonstruktiven Deduktivismus* nenne. \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Einzelne Argumente sollten so rekonstruiert werden, dass die Konklusion zwingend aus den Prämissen folgt und jede Prämisse für den Schluss auf die Konklusion erforderlich ist (rekonstruktiver Deduktivismus). ::: Für diese Maxime sprechen verschiedene Gründe: 1. Mit dem Nachweis der deduktiven Gültigkeit ist zweifellos erwiesen, dass zwischen Prämissen und Konklusion eine geeignete Begründungsbeziehung besteht. 2. Es gibt bewährte Verfahren, um nachzuweisen, dass ein Argument (i) deduktiv gültig bzw. (ii) deduktiv ungültig ist. 3. Der rekonstruktive Deduktivismus zwingt zu einer sehr sorgfältigen und zugleich fruchtbaren Analyse der Argumente, im Laufe derer sich entdecken lässt, welche impliziten Annahmen in einem Argument vorausgesetzt werden. \mymnote{Zur Vertiefung} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Der *rekonstruktive Deduktivismus* ist eine Rekonstruktionsanweisung und als solche Bestandteil einer Methode zur Interpretation von Texten in argumentativer Hinsicht. Diese Methode unterstellt nicht, dass es möglich ist, jedes beliebige Argument plausibel und überzeugend als ein deduktives Argument zu rekonstruieren. Rekonstruktiver Deduktivismus besagt: Man sollte es zunächst versuchen. Und erst wenn dies nicht gelingt -- und man zugleich nicht bereit ist, das Argument als fehlschlüssig zu betrachten --, erst dann müssen alternative Theorien nicht-deduktiver Begründung bemüht werden (die jedoch allesamt philosophisch umstritten sind). Als Interpretationsmaxime stellt der rekonstruktive Deduktivismus auch keine erkenntnistheoretische These und insbesondere kein Rationalitätsprinzip dar. Es wird beispielsweise nicht behauptet, dass die Überzeugung, dass *p*, nur dann gut begründet ist, wenn man ein deduktives Argument zugunsten von *p* anführen kann. Ebenso wenig wird behauptet, dass eine Meinungsänderung bezüglich *p* nur dann rational ist, wenn sie aufgrund eines deduktiven Arguments geboten ist. ::: Gehen wir nun die bisher analysierten Argumente erneut durch und prüfen wir, ob die Konklusionen aus den jeweils genannten Prämissen folgen. Wir starten mit unserer Interpretation nach *Strategie 3* (s. Tafel\ \ref{tafel:pro4-con4-s2}) und dort -- gemäß der Maxime, von innen nach außen zu rekonstruieren -- mit dem zentralen Pro-Argument zugunsten des Zensurgebots, das hier nochmals abgedruckt ist: \tafel{} ```argdown {quelle: Pro4} (1) Kinder sowie junge Frauen und Männer müssen vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden (Ziel 1); und die Gesellschaft als Ganzes sollte vor den schäbigen, ungesunden, unterdrückerischen und objektifizierenden Einstellungen zu Frauen und Sex geschützt werden, die von der Pornographie aufrecht erhalten werden (Ziel 2). (2) Eine gesetzliche Zensur von Pornographie erreicht genau dies: sie schützt Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung (Ziel 1) und sie schützt die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen (Ziel 2). (3) Außerdem gibt es keine Alternativmaßnahme, die – in Bezug auf Ziel 1 und Ziel 2 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. ---- (4) Kinder- und Hardcore-Pornografie ist ein Fall, in dem Gesetzgebung geboten ist, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe (nämlich die Wiedergabe der pornographischen Inhalte) untersagt und sanktioniert. +> [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. ``` Die deduktive Gültigkeit eines Arguments erkennt man an seiner Form (s. Kasten). \mymnote{Zur Vertiefung} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Den Übergang von Prämissen zu einer Konklusion nennt man *Schluss*. Argumente sind genau dann deduktiv gültig, wenn all ihre Teilschlüsse deduktiv gültig sind. Dass ein Schluss von Prämissen auf die Konklusion deduktiv gültig ist -- d.h., dass es nicht möglich ist, dass die Prämissen wahr sind und die Konklusion zugleich falsch ist --, lässt sich nachweisen, indem man aufzeigt, dass dem Schluss ein *gültiges Schlussmuster* zugrunde liegt. Ein Beispiel für ein Schlussmuster: ```argdown (1) Es ist geboten, dass *Z*. (2) *Z* nur dann, wenn *M*. ---- (3) Es ist geboten, dass *M*. ``` Ein Schlussmuster ist genau dann deduktiv gültig, wenn gilt: Ganz gleich, welche syntaktisch zulässigen Einsetzungen man vornimmt, man erhält unter keinen Umständen eine Instanz des Musters mit wahren Prämissen und falscher Konklusion. Dass ein Schlussmuster deduktiv gültig ist, liegt an der Bedeutung der Ausdrücke, die in dem Muster neben den Platzhaltern vorkommen. Diese Ausdrücke bestimmen die Form des Musters und heißen Formwörter. Die Formwörter im obigen Beispielschema sind "nur dann, wenn" und "es ist geboten, dass". Aufgrund der Bedeutung dieser Wörter ist das Schlussmuster deduktiv gültig; es ist logisch-begrifflich unmöglich, dass die Prämissen eines Arguments dieser Form wahr sind und die Konklusion falsch ist. Logische Schlussmuster sind solche, in denen nur ganz bestimmte, themenunabhängige Formwörter (wie "und", "wenn, dann", "nicht", "alle") verwendet werden. Ein Schluss, dem eine gültige logische Schlussregel zugrunde liegt, heißt formal gültig. Ein Beispiel für ein gültiges logisches Schlussmuster: ```argdown (1) Wenn *P*, dann *Q* (2) nicht-*Q* -- Folgt mit Modus tollens -- (3) nicht-*P* ``` Während es zum Nachweis der deduktiven Gültigkeit eines Arguments ausreicht, zu zeigen, dass es durch Einsetzung aus einem gültigen Schlussmuster gewonnen werden kann, ist es zum Nachweis der Ungültigkeit des Arguments nicht hinreichend, zu zeigen, dass dem Argument ein ungültiges Schema zugrunde liegt. (Denn ein Argument kann verschiedene Schemata realisieren; ein Argument kann zum Beispiel aussagenlogisch ungültig, aber prädikatenlogisch gültig sein.) Um zu zeigen, dass ein Argument nicht deduktiv gültig ist, beschreibt man ein logisch-begrifflich konsistentes Szenario, in dem die Prämissen des Arguments wahr, die Konklusion aber falsch wird. Dass etwa dieser Schluss ```argdown (1) Zoe ist größer als Ada. (2) Zoe ist größer als Bea. ---- (3) Ada ist größer als Bea. ``` ungültig ist, wird mit folgendem Szenario nachgewiesen: Zoe ist ein Elefant, Ada ein Pinguin und Bea ein Walross. ::: Den Gedankengang des Pro-Arguments haben wir oben bereits mehrfach "abstrakt" beschrieben. Dabei haben wir nichts anderes als seine Form umrissen, die sich jetzt wie folgt notieren lässt: \tafel{} ```argdown (1) Es ist geboten, dass Sachverhalt Z. /*Zwecksetzungsprämisse*/ (2) Maßnahme M führt dazu, dass Z besteht. /*Effektivitätsprämisse*/ (3) Es gibt keine Alternativmaßnahme M', die dazu führt, dass Z besteht, und die geeigneter ist als M. /*Ausschlussprämisse*/ ---- (4) Die Maßnahme M ist geboten. ``` Argumente dieser Form sind deduktiv gültig. Ganz gleich, welchen Sachverhalt man für Platzhalter Z und welche Maßnahme man für Platzhalter M einsetzt: Es ist ausgeschlossen, dass jede Prämisse eines solchen Arguments wahr, seine Konklusion aber falsch ist. Nehmen wir zu Illustrationszwecken an, dass eine bestimmte Maßnahme dazu führt, ein Ziel zu erreichen, dass es keine anderen Wege gibt, dieses Ziel zu erreichen, dass die Maßnahme aber gleichwohl nicht geboten ist (etwa weil sie inakzeptable Nebenfolgen hat). In dieser Situation (zwei Prämissen sind wahr, die Konklusion ist falsch) gibt man folgerichtig aber auch das Ziel auf (die weitere Prämisse ist falsch): Solange man das beste Mittel zum Erreichen eines Ziels nicht für geboten hält, hält man auch das Erreichen des Ziels selbst nicht für geboten. Durch präzisierende Reformulierung der Prämissen und Konklusion unseres Arguments können wir noch deutlicher machen, mit welchem Argumentationsschema die Konklusion erschlossen wird! Neben inhaltlichen Präzisierungen können auch sprachliche Vereinfachungen, die die Bedeutung der Aussagen unberührt lassen, ein Argument transparenter machen. So werden wir im Folgenden auf die zwei Ziele in Prämisse (1) -- anstatt sie vollständig und detailliert zu beschreiben -- mit "Schutz vor Ausbeutung" und "Schutz vor Subversion" verweisen. Eine weitere begriffliche Vereinfachung besteht darin, die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie als "Hardcore-Pornografie-Zensur" zu bezeichnen. \tafel{tafel:pro4-detail1} ```argdown (1) Es ist geboten, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. (2) Die Hardcore-Pornografie-Zensur führt dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. <- (3) Es gibt keine Alternativmaßnahme, die dazu führt, dass Schutz vor Ausbeutung und Schutz vor Subversion bestehen, und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. <- -- Praktischer Syllogismus (Optimalitätsvariante) -- (4) Die Hardcore-Pornografie-Zensur ist geboten. +> [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. ``` Es ist nun transparent, dass das Argument deduktiv gültig ist. --- Aber es erfüllt nicht mehr seine intendierte dialektische Funktion: Die Konklusion (4) ist nicht mehr identisch mit der zentralen These [`[Zensurgebot]`]{.the}. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten, mit dem neu entstandenen Problem umzugehen: 1. Wir reformulieren die zentrale These und passen sie an die Konklusion (4) an. Nachteil: Änderungen im Kern der Rekonstruktion einer Debatte können unabsehbare Auswirkungen auf die Analyse aller anderen Argumente haben. 2. Wir reformulieren die Konklusion (4) und passen sie an die zentrale These an. Nachteil: Damit müssten wir auch die Prämissen des Arguments ändern, oder seine Struktur, oder beides. 3. Wir deuten (4) als bloße Zwischenkonklusion, die auf transparente Weise aus (1)-(3) erschlossen wird und die selbst in einen weiteren Schluss auf die Konklusion eingeht. Die (finale) Konklusion des Arguments ist das partikuläre Zensurgebot. Aufgrund der Nachteile von 1 und 2 beschreiten wir den dritten Weg. Am unspektakulärsten ist dies zu bewerkstelligen, indem mit Modus ponens und einer entsprechenden Subjunktion von (4) auf [`[Zensurgebot]`]{.the} geschlossen wird: \tafel{} ```argdown (4) Die Hardcore-Pornografie-Zensur ist geboten. (5) Wenn die Hardcore-Pornografie-Zensur geboten ist, dann gibt es Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. -- Modus ponens -- (6) [Zensurgebot]: Es gibt Fälle, in denen Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, geboten ist. ``` Etwas eleganter und den logischen Zusammenhang von (4) und (6) besser verdeutlichend schließt man prädikatenlogisch: \tafel{} ```argdown (4) Die Hardcore-Pornografie-Zensur ist geboten. /*Geboten: Maßnahme z*/ (5) Die Hardcore-Pornografie-Zensur ist eine Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert. /*Maßnahme z ist von der Art F*/ -- Konjunktions- und Existenzeinführung -- (6) [Zensurgebot]: Es gibt Gesetzgebung, die bestimmte Formen der Meinungsäußerung und -wiedergabe untersagt und sanktioniert, und die geboten ist. /*(Es gibt ein x): x ist von der Art F und x ist geboten*/ ``` Diese prädikatenlogische Rekonstruktion führt außerdem zu einer plausiblen Vereinfachung der zentralen These. Rekonstruieren wir als Nächstes die Einwände gegen [``]{.arg}: die Argumente [``]{.arg} und [``]{.arg}. [``]{.arg} richtet sich gegen Prämisse (2), vgl. Tafel\ \ref{tafel:pro4-detail1}. Damit ist die Konklusion vorgegeben und wir können als ersten Rekonstruktionsversuch festhalten: \tafel{} ```argdown (1) Eine gesetzliche Zensur von Pornographie ist unwirksam: sie schützt weder Kinder und junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung noch die Gesellschaft vor schäbigen Einstellungen. Denn gesetzliche Zensur wird die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen. Denn Leute, auch Kinder und Jugendliche, werden Pornographie immer in die Hände bekommen, sodenn sie es wirklich wollen. ---- (2) Es ist nicht der Fall, dass Hardcore-Pornografie-Zensur dazu führt, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. ``` In Prämisse (1) wird im ersten Satz die Konklusion wiederholt; dieser Satz gehört nicht zur Begründung der Konklusion, er kann gestrichen werden. Als Begründung wird dann angeführt, dass Zensur die Rezeption von Pornografie nicht beeinflusst, was wiederum selbst damit begründet wird, dass Zensurgesetze leicht umgangen werden können. Das ist ein Gedankengang in zwei Schritten. So bietet es sich an, das Argument ganz analog in zwei Teilschlüsse zu zergliedern. \tafel{} ```argdown (1) Leute, auch Kinder und Jugendliche, werden Pornographie immer in die Hände bekommen, sodenn sie es wirklich wollen. ---- (2) Die gesetzliche Zensur wird die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen. ---- (3) Es ist nicht der Fall, dass Hardcore-Pornografie-Zensur dazu führt, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. ``` \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Bei der Analyse eines umfangreichen Arguments sollte man das Argument in mehrere ineinandergreifende Teilargumente zergliedern, so dass 1. jede in einem Teilargument erschlossene Zwischenkonklusion in ein weiteres Teilargument (in der Funktion einer Prämisse im entsprechenden Schluss) eingeht; 2. jede für das Argument relevante Begründungsbeziehung als Teilschluss rekonstruiert wird (und nicht innerhalb ein und derselben Aussage des Arguments artikuliert wird). ::: Wir zäumen das Pferd wie gewohnt von hinten auf. Der Schluss von (2) auf (3) ist nicht deduktiv gültig. Die Konklusion behauptet die Ineffektivität von Zensur in Bezug auf zwei verschiedene Ziele; in (2) ist nur von einem dieser Ziele die Rede. Lässt sich das Teilargument reparieren? (2) begründet zwar -- intuitiv betrachtet --, dass Zensur die Gesellschaft nicht vor schäbigen Einstellungen schützt, aber wie sollte (2) nachweisen, dass Zensur hinsichtlich des Schutzes vor Ausbeutung ineffektiv ist? --- Der Gedanke könnte dieser sein: Die Zensur bestimmter Inhalte hat höchstens dann Auswirkungen auf die Produktion der Inhalte, wenn sie effektiv die Rezeption der Inhalte verringert. Fügen wir diesen Puzzlestein ein, ergänzen entsprechende verknüpfende Prämisse und nehmen, um der Transparenz willen, weitere Zwischenkonklusionen hinzu: \tafel{} ```argdown (2) Die Hardcore-Pornografie-Zensur wird die Rezeption von Pornographie nicht beeinflussen. (3) Die Hardcore-Pornografie-Zensur führt nur dann dazu, dass ein Schutz vor Subversion besteht, wenn sie die Rezeption von Pornographie beeinflusst. -- Folgt mit Modus tollens aus (2) und (3) -- (4) Die Hardcore-Pornografie-Zensur führt nicht dazu, dass ein Schutz vor Subversion besteht. (5) Die gesetzliche Zensur bestimmter Inhalte hat höchstens dann Auswirkungen auf die Produktion der Inhalte, wenn sie effektiv die Rezeption der Inhalte verringert. (6) Die Hardcore-Pornografie-Zensur führt nur dann dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht, wenn sie die Produktion von Pornographie verringert. -- Folgt aus (2), (5) und (6) -- (7) Die Hardcore-Pornografie-Zensur führt nicht dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht. -- Folgt aus (4) und (7) -- (8) Es ist nicht der Fall, dass die Hardcore-Pornografie-Zensur dazu führt, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. ``` Um die Form der Schlüsse kenntlich zu machen, passen wir die Formulierungen einander an: In (6) ist zum Beispiel davon die Rede, dass Rezeption und Produktion "verringert" werden -- in (2) und anderen Aussagen wird aber unspezifischer nur von "beeinflussen" gesprochen. Und um den Schluss auf (7) zu verstehen, buchstabieren wir die Zensurmaßnahme wieder aus. \tafel{} ```argdown (2) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie wird die Rezeption von Kinder- und Hardcore-Pornografie nicht verringern. // non Ga // a: Kinder- und Hardcore-Pornografie // G#: gesetzliche Zensur von # verringert die Rezeption von # (3) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nur dann dazu, dass ein Schutz vor Subversion besteht, wenn sie Rezeption von Kinder- und Hardcore-Pornografie verringert. -- Folgt mit Modus tollens aus (2) und (3) -- (4) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nicht dazu, dass ein Schutz vor Subversion besteht. (5) Die gesetzliche Zensur von *x* hat höchstens dann Auswirkungen auf die Produktion von *x*, wenn sie die Rezeption *x* verringert. // (Für alle x:) Fx -> Gx // F#: gesetzliche Zensur von # verringert die Produktion von # (6) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nur dann dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht, wenn sie die Produktion von Pornographie verringert. // Ha -> Fa // H#: # führt dazu, dass Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden -- Folgt aus (2), (5) und (6) mit Allspezialisierung und 2mal Modus tollens -- (7) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nicht dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht. // non Ha (8) Wenn etwas nicht dazu führt, dass *p*, und etwas nicht dazu führt, dass *q*, dann führt es nicht dazu, dass beides gilt, *p* und *q*. -- Folgt aus (4), (7) und (8) mit Allspezialisierung und Modus ponens -- (9) Es ist nicht der Fall, dass die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie dazu führt, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. ``` Wir haben hier mit (8) eine weitere (unproblematische) verknüpfende Prämisse eingefügt, mit der der Schluss auf die finale Konklusion formal gültig wird. Sind die Antezedensbedingungen in (8) aber nicht unnötig stark? Denn es gilt doch sogar: Wenn eine Maßnahme nicht dazu führt, dass *p*, dann führt sie auch nicht dazu, dass *p* und *q*. Mit diesem gleichermaßen plausiblem Prinzip benötigen wir indes nur eine der beiden Zwischenkonklusionen (4) und (7), um auf die finale Konklusion zu schließen. Eines der zwei Teilargument ist überflüssig. Das bedeutet aber, dass wir hier tatsächlich nicht _ein_ Argument, das aus zwei Teilen besteht, vor uns haben, sondern _zwei verschiedene_ Argumente mit identischer Konklusion: Das erste Argument besteht und (2), (3), (4), (8') und Konklusion (9); das zweite Argument, das im folgenden neu nummeriert abgedruckt ist, aus (2), (5), (6), (7), (8') sowie (9). \tafel{} ```argdown (1) [Keine Rezeptionsverringerung]: Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie wird die Rezeption von Kinder- und Hardcore-Pornografie nicht verringern. // non Ga // a: Kinder- und Hardcore-Pornografie // G#: gesetzliche Zensur von # verringert die Rezeption von # (2) Die gesetzliche Zensur von *x* hat höchstens dann Auswirkungen auf die Produktion von *x*, wenn sie die Rezeption *x* verringert. // (Für alle x:) Fx -> Gx // F#: gesetzliche Zensur von # verringert die Produktion von # (3) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nur dann dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht, wenn sie die Produktion von Pornographie verringert. // Ha -> Fa // H#: # führt dazu, dass Kinder sowie junge Frauen und Männer vor der Ausbeutung durch Pornografen geschützt werden -- Folgt aus (1), (2) und (3) mit Allspezialisierung und 2mal Modus tollens -- (4) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie führt nicht dazu, dass ein Schutz vor Ausbeutung besteht. // non Ha (5) Wenn etwas dazu führt, dass *p* und *q*, dann führt es dazu, dass *p*. -- Folgt aus (4) und (5) mit Allspezialisierung, Kontraposition und Modus ponens -- (6) Es ist nicht der Fall, dass die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie dazu führt, dass ein Schutz vor Ausbeutung und ein Schutz vor Subversion besteht. ``` Die These [`[Keine Rezeptionsverringerung]`]{.the} geht als jeweils erste Prämisse in beide Unwirksamkeits-Argumente ein. Die Analyse der Begründung dieser Aussage steht noch aus. Eine einfache Rekonstruktion des Arguments lautet: \tafel{} ```argdown (1) Jeder kann sogar illegale Kinder- und Hardcore-Pornografie in die Hände bekommen (sodenn man es wirklich will). (2) Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie wird die Rezeption von Kinder- und Hardcore-Pornografie nur verringern, wenn nicht jeder sogar illegale Kinder- und Hardcore-Pornografie in die Hände bekommen kann (sodenn man es wirklich will). ---- (3) [Keine Rezeptionsverringerung]: Die gesetzliche Zensur von Kinder- und Hardcore-Pornografie wird die Rezeption von Kinder- und Hardcore-Pornografie nicht verringern. ``` Die dialektische Struktur dieser Einwände liest sich somit wie folgt: \tafel{} ```argdown [Zensurgebot] <+ <- <+ [Keine Rezeptionsverringerung] <+ <- <+ [Keine Rezeptionsverringerung] <+ ``` Damit ist die Rekonstruktion des Einwands [``]{.arg} vorläufig abgeschlossen und wir kommen zum zweiten Einwand gegen das zentrale Pro-Argument. [``]{.arg} richtet sich gegen die Prämisse (3) von [``]{.arg} (vgl. Tafel\ \ref{tafel:pro4-detail1}). Im ersten Anlauf können wir das Argument wie folgt fassen: \tafel{} ```argdown (1) Es gibt eine Alternativmaßnahme (ein Bündel von Maßnahmen), die – in Bezug auf Ziel 1 _und_ Ziel 2 – ebenfalls effektiv und zugleich geeigneter als die gesetzliche Zensur ist. Denn erstens gibt es eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf Ziel 1. Und zweitens gibt es eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf Ziel 2. ---- (2) Es gibt eine Alternativmaßnahme, die dazu führt, dass Schutz vor Ausbeutung und Schutz vor Subversion erreicht werden, und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. ``` Der Begründungsteil (1) zerfällt in zwei Prämissen. Eine Prämisse äußert sich zu geeigneten Alternativmaßnahmen hinsichtlich des ersten Ziels, die andere Prämisse hinsichtlich des zweiten Ziels. Der in (1) erstgenannte Satz gehört nicht zum Begründungsteil sondern gibt die Konklusion wieder. \tafel{} ```argdown (1) Es gibt eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf den Schutz vor Ausbeutung als die Hardcore-Pornografie-Zensur. (2) Es gibt es eine geeignetere und effektive Alternativmaßnahme in Bezug auf den Schutz vor Subversion als die Hardcore-Pornografie-Zensur. ---- (3) Es gibt eine Alternativmaßnahme, die dazu führt, dass Schutz vor Ausbeutung _und_ Schutz vor Subversion bestehen, und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. ``` Wir passen die Formulierungen einander an und fügen eine einfache verknüpfende Prämisse hinzu, die den Schluss deduktiv gültig macht. \tafel{} ```argdown (1) Es gibt eine effektive Alternativmaßnahme, die zum Schutz vor Ausbeutung führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. (2) Es gibt eine effektive Alternativmaßnahme, die zum Schutz vor Subversion führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. (3) Wenn es (i) eine effektive Alternativmaßnahme gibt, die zum Schutz vor Ausbeutung führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist, und es (ii) eine effektive Alternativmaßnahme gibt, die zum Schutz vor Subversion führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist, dann gibt es eine effektive Alternativmaßnahme (nämlich das Bündel der zwei Einzelmaßnahmen), die zum Schutz vor Ausbeutung und zum Schutz vor Subversion führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. -- Modus ponens aus 1-3 -- (4) Es gibt eine Alternativmaßnahme, die zum Schutz von Ausbeutung _und_ dem Schutz vor Subversion führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. ``` Das Einfügen einer Subjunktion als verknüpfende Prämisse -- hier: Prämisse (3) -- ist häufig ein nützlicher *erster* Schritt beim Auffinden impliziter Annahmen. Mit dem Ziel vor Augen, die Systematik einer Argumentation zu verstehen, sollte man sich aber fragen, ob die eingefügte Subjunktion ein Spezialfall eines allgemeinen Prinzips ist. \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Das Einfügen eines Wenn-Dann-Satzes als verknüpfende Prämisse ist grundsätzlich zulässig, wenngleich der Schluss dadurch trivialerweise gültig wird. Wichtig ist für AnalystInnen, es nicht einfach hierbei zu belassen! Stattdessen sollte man sich fragen, ob die ergänzte Subjunktion sich als Spezialfall eines allgemeinen und zugleich plausiblen Prinzips ergibt [vgl. @BowllKemp2014, S. 133ff.]. ::: In unserem Fall folgt (3) aus einem Prinzip, das wir ebenfalls als verknüpfende Prämisse verwenden können. \tafel{} ```argdown (3) Für beliebige Ziele *Z1*, *Z2* und jede Maßnahme *M* gilt: Wenn es (i) eine effektive Alternativmaßnahme gibt, die zu *Z1* führt und die geeigneter als *M* ist, und es (ii) eine effektive Alternativmaßnahme gibt, die zu *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist, dann gibt es eine effektive Alternativmaßnahme (nämlich das Bündel der zwei Einzelmaßnahmen), die zu *Z1* _und_ *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist. ``` \ \mymnote{Logisch-semantische Analyse} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Das o.g. Prinzip (3) besitzt folgende logisch-semantische Struktur: ```argdown (3) (x)(y)(z): Wenn G(x) & F(y) & F(z) & (Eu): G(u) & R(u,y) & S(u,x) & (Eu): G(u) & R(u,z) & S(u,x) dann (Eu): G(u) & R(u,y) & R(u,z) & S(u,x) /* | F#: # ist ein Ziel | G#: # ist eine Maßnahme | R#•: # führt zum Erreichen von • | S#•: # ist geeigneter als • */ ``` Ergänzt man das so verstandene Prinzip (3), so folgt die Konklusion des Arguments mit Allspezialisierung und Modus ponens. Allerdings sagt das Prinzip in dieser Lesart nicht, dass es sich bei der Alternativmaßnahme, deren Existenz im Konsequens behauptet wird, um das Bündel der zwei einzelnen Alternativmaßnahmen handelt. Diesen für die Plausibilität von (3) wichtigen Sachverhalt können wir nur ausdrücken, wenn wir den Satz wie folgt analysieren: ```argdown (3) (x)(y)(z)(u)(v): Wenn F(y) & F(z) & G(x) & G(u) & G(v) & R(u,y) & S(u,x) & R(v,z) & S(v,x) dann (Ew): G(w) & B(w,u,v) & R(w,y) & R(w,z) & S(w,x) /* | F#: # ist ein Ziel | G#: # ist eine Maßnahme | R#•: # führt zum Erreichen von • | S#•: # ist geeigneter als • | B#•+: # ist das Bündel der Einzelmaßnahmen • und + */ ``` Auch in dieser Analyse ist das Argument deduktiv gültig. Allerdings folgt die Konklusion nicht mehr einfach mit Allspezialisierung und Modus ponens. Stattdessen wird -- im Kern -- mit dieser prädikatenlogischen Regel geschlussfolgert: ```argdown (1) (Ex): Fx (2) (x)(Ey): Fx –> Gy & Rxy ---- (3) (Ey): Gy ``` ::: Mit dem ergänzten Prinzip (3) wird der Schluss deduktiv gültig und die allgemeine Idee hinter dem Argument tritt zutage. Allerdings zeigt sich auch, dass die Grundidee in dieser Allgemeinheit völlig unplausibel ist: zwei sich wechselseitig ausschließende Maßnahmen können in Bezug auf verschiedene Ziele jeweils effektiv und geeigneter als eine dritte Maßnahme sein, während die Bündelung der zwei Maßnahmen aber undurchführbar und damit sicherlich keine effektive und geeignetere Gesamtalternative ist. Wir haben mit (3) ein offenkundig falsches Prinzip unterstellt. Obwohl diese Feststellung den Status der Prämissen betrifft (und nicht die Begründungsbeziehung zwischen Prämissen und Konklusion), ist sie für die Argumentanalyse hochrelevant. Denn im Rahmen des bestehenden Interpretationsspielraums sollte man versuchen, Begründungen immer als möglichst starke und plausible Argumente zu rekonstruieren [@BrunHirschHadorn2014, S. 227]. \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Man sollte ein Argument *im Rahmen des bestehenden Interpretationsspielraums* so wohlwollend wie möglich interpretieren, d.h.: als ein möglichst starkes und plausibles Argument rekonstruieren! Dieses *Prinzip des Wohlwollens* - stellt sicher, dass Schwachstellen eines rekonstruierten Arguments nicht durch willkürliche Interpretationsentscheidungen der Argument-AnalystInnen entstehen; und - ergibt sich aus einem diskurs-ethischen Fairness-Gebot. ::: Unter diesen Gesichtspunkten ist unsere bisherige Rekonstruktion unbefriedigend und verbesserungsbedürftig -- insbesondere mit Blick auf die höchst unplausible Prämisse (3). Das allgemeine Prinzip (3) wird plausibler, wenn zusätzlich gefordert wird, dass (i) die einzelnen Alternativmaßnahmen auch gemeinsam durchführbar sind und (ii) sie sich in ihren Konsequenzen nicht zuwiderlaufen (d.h., die jeweilige Zielerreichung nicht gegenseitig behindern). Damit lautet unsere Prämisse (3) neu: \tafel{} ```argdown (3) Für beliebige Ziele *Z1*, *Z2* und beliebige Maßnahmen *M*, *M1*, *M2* gilt: Wenn (i) *M1* eine effektive Alternativmaßnahme ist, die zu *Z1* führt und die geeigneter als *M* ist, und (ii) *M2* eine effektive Alternativmaßnahme ist, die zu *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist, und (iii) *M1* und *M2* kompatibel sind und (iv) *M1* und *M2* sich in ihren Konsequenzen nicht zuwiderlaufen, dann gibt es eine effektive Alternativmaßnahme (nämlich das Bündel der zwei Einzelmaßnahmen *M1* und *M2*), die zu *Z1* _und_ *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist. ``` Dieses neue Prinzip ist nicht mehr der oben genannten Kritik ausgesetzt und somit deutlich plausibler. In dieser Hinsicht haben wir unsere Rekonstruktion verbessert -- allerdings auf Kosten der deduktiven Gültigkeit. Denn die Konklusion folgt nicht mehr aus (1)-(3). Es müssen weitere Prämissen hinzugefügt werden, die den Schluss reparieren, indem sie feststellen, dass die Antezedensbedingungen (iii) und (iv) des Prinzips (3) im vorliegenden Fall erfüllt sind. \mymnote{Logisch-semantische Analyse} ::: {.vert custom-style="Zur Vertiefung"} Die logisch-semantische Struktur des neuen Prinzips (3) lautet: ```argdown (3) (x)(y)(z)(u)(v): Wenn F(y) & F(z) & G(x) & G(u) & G(v) & R(u,y) & S(u,x) & R(v,z) & S(v,x) & T(u,v) & U(u,v) dann (Ew): G(w) & B(w,u,v) & R(w,y) & R(w,z) & S(w,x) /* | F#: # ist ein Ziel | G#: # ist eine Maßnahme | R#•: # führt zum Erreichen von • | S#•: # ist geeigneter als • | B#•+: # ist das Bündel der Einzelmaßnahmen • und + | T#•: # und • sind kompatibel | U#•: # und • laufen sich hinsichtlich ihrer | Konsequenzen nicht zuwider */ ``` Die Antezedensbedingungen (iii) und (iv) fordern, dass die zwei Alternativmaßnahmen in bestimmten Relationen zueinander stehen (s. `T(u,v) & U(u,v)`). Mit der jetzigen Form der Prämissen (1) und (2) -- beides sind Existenzsätze -- können diese Bedingung aber gar nicht ausgedrückt werden. Das Problem lässt sich an einem vereinfachten Schluss illustrieren: ```argdown (1) (Ex): Fx (2) (Ex)(Ey): Rxy (3) (x)(y): Fx & Rxy –> Gy -- ungültig -- (4) (Ex): Gx ``` Die Prämissen (1) und (2) in diesem Schlussmuster implizieren eben nicht, dass es zwei Gegenstände gibt, für die die Antezedensbedingungen der allquantifizierten Subjunktion (3) erfüllt sind, weil die Gegenstände, deren Existenz in (2) behauptet wird, andere sein könnten als der, dessen Existenz in (1) behauptet wird. Eine erste Reparatur besteht darin, die Antezedensbedingungen im Skopus ein und derselben Existenzquantoren zu behaupten. ```argdown (1) (Ex)(Ey): Fx & Rxy (2) (x)(y): Fx & Rxy –> Gy -- gültig -- (3) (Ex): Gx ``` Eine zweite Möglichkeit ist es, die Gegenstände, von denen die Existenzbehauptungen handeln, mit geeigneten Eigennamen zu bezeichnen. ```argdown (1) Fa (2) Rab (3) (x)(y): Fx & Rxy –> Gy -- gültig -- (4) (Ex): Gx ``` Für die weitere Rekonstruktion des Arguments [``]{.arg} wählen wir diese zweite Reparaturoption. ::: Damit stellt sich unser Argument wie folgt dar: \tafel{tafel:gmnb-final} ```argdown (1) Die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze führt zum Schutz vor Ausbeutung und ist geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur. <+ : Kinderpornografie ist bereits gesetzlich untersagt und wir benötigen keine weiteren Zensurgesetze, um sie zu bekämpfen. (2) Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft führt zum Schutz vor Subversion und ist geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur. <+ : Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft bietet einen effektiveren Schutz als die gesetzliche Zensur und ist zugleich geeigneter. <+ (3) Die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze und Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft sind kompatibel. (4) Die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze und Erziehung durch Eltern und Gemeinschaft laufen sich in ihren Konsequenzen nicht zuwider. (5) Für beliebige Ziele *Z1*, *Z2* und beliebige Maßnahmen *M*, *M1*, *M2* gilt: Wenn (i) *M1* eine effektive Alternativmaßnahme ist, die zu *Z1* führt und die geeigneter als *M* ist, und (ii) *M2* eine effektive Alternativmaßnahme ist, die zu *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist, und (iii) *M1* und *M2* kompatibel sind und (iv) *M1* und *M2* sich in ihren Konsequenzen nicht zuwiderlaufen, dann gibt es eine effektive Alternativmaßnahme (nämlich das Bündel der zwei Einzelmaßnahmen *M1* und *M2*), die zu *Z1* _und_ *Z2* führt und die geeigneter als *M* ist. -- Allspezialisierung, Modus ponens, Existenzeinführung -- (6) Es gibt eine Alternativmaßnahme, die zum Schutz von Ausbeutung _und_ dem Schutz vor Subversion führt und die geeigneter als die Hardcore-Pornografie-Zensur ist. -> ``` Durch schrittweise Verbesserung unserer Rekonstruktion haben wir ein deduktiv gültiges Argument gewonnen, dessen Prämissen zudem in dem gegebenen Kontext durchaus plausibel sind. Dabei haben wir gegenüber der ersten informellen Skizze des Gedankens (vgl. Tafel\ \ref{tafel:pro4-con4-s2}) erkannt, dass das Argument von weiteren, nicht-trivialen, unausgesprochenen Prämissen Gebrauch macht. Außerdem ist sehr gut verständlich und bereits kenntlich gemacht, wie sich die weiteren bisher skizzierten Argumente (insbesondere [``]{.arg} und [``]{.arg}, s. Tafel\ \ref{tafel:pro4-con4-s2}) auf den rekonstruierten Einwand beziehen. Die nächsten Analyseschritte bestehen darin, diese weiteren Argumente detailliert zu rekonstruieren und die Detailanalyse des Abschnitts unter der *Strategie 3* (s. die Optionen im Anschluss an Tafel\ \ref{tafel:pro4-pcs1}) abzuschließen. Wir brechen an dieser Stelle aber ab und verfolgen die weitere Analyse nicht mehr im Detail. Denn die Grundzüge der Argumentanalyse sind bereits hinreichend illustriert. Das Vorgehen lässt insgesamt in folgenden Schritten zusammenfassen. \mymnote{Maxime} ::: {.def custom-style="Definition"} Arbeitsschritte der Argumentanalyse: 1. Kläre die *zentrale These(n)*, für und gegen die in dem Text argumentiert wird. 2. Skizziere die verschiedenen Gründe, die im Text angeführt werden, sowie ihre Beziehungen zueinander in Form einer *Gründehierarchie*. 3. Erstelle, ausgehend von der Gründehierarchie, eine *Argumentkarte*, indem die einzelnen Gründe als Argumente mit Prämissen-Konklusion-Struktur rekonstruiert und die skizzierten dialektischen Beziehungen überprüft werden. 4. Rekonstruiere die einzelnen Argumente im Rahmen einer *Detailanalyse* möglichst so, dass sie (i) deduktiv gültig sind, (ii) von plausiblen Prämissen ausgehen und (iii) ihre dialektische Funktion erfüllen. ::: Wie genau die Kriterien, die den Arbeitsschritten zugrunde liegen, spezifiziert werden, hängt davon ab, ob man exegetische oder systematische Ziele verfolgt [@Brun2014-BRURAF]. Gegen Ende des ersten Abschnitts dieses Kapitels haben wir gesehen, wie sich die Zielsetzung darauf auswirkt, welche Aussagen man als zentrale Thesen der Argumentation setzt. Darüber hinaus gilt aber beispielsweise auch: Skizziert man eine Gründehierarchie aus systematischem Interesse, kann man sich viel stärker von den im Text angedeuteten Begründungsansprüchen lösen, als wenn man exegetische Ziele verfolgt. Plausibilität einer impliziten Prämisse bemisst sich in der exegetischen Analyse wesentlich an ihrer Passung und relativen Konsistenz zum Text (und dessen Kontext). Unter systematischen Gesichtspunkten kann demgegenüber die Passung in das eigene Überzeugungssystem oder der wissenschaftliche Kenntnisstand bezüglich der Prämisse für ihre Plausibilität ausschlaggebend sein. Die abwechselnde Berücksichtigung der unter Schritt 4 aufgeführten Kriterien (deduktive Gültigkeit, Plausibilität, dialektische Funktion) führt dazu, dass man während der Detailanalyse immer wieder Änderungen an einer Rekonstruktion vornimmt, die die Argumentanalyse zwar in einer Hinsicht verbessern, in anderer Hinsicht aber neue Probleme und weiteren Verbesserungsbedarf erzeugen. Zum Beispiel: Wir modifizieren eine Prämisse, um sie plausibler und die Rekonstruktion insgesamt wohlwollender zu machen. In der Folge ist das Argument aber nicht mehr gültig. Wir ändern deshalb die Konklusion. Das Argument ist gültig, aber es stützt die zentrale These nicht mehr. Wir ändern die Konklusion erneut. Das Argument ist nun nicht mehr deduktiv gültig usw. usf. Dieses iterative Vorgehen lässt sich mit dem Bild eines hermeneutischen Kleeblatts, dessen Blätter Schlaufen bilden, die man fortwährend durchläuft, veranschaulichen. ![Hermeneutisches Kleeblatt](./abb/HermeneutischesKleeblatt2.pdf){width=80%} Ein entsprechender Rekonstruktionsprozess kommt immer nur vorläufig zu einem Ende: Nämlich dann, wenn uns keine weitere Verbesserung der bisherigen Analyse einfällt. Dabei kann man sich nie sicher sein, ob man in Zukunft nicht doch eine zündende Idee haben wird, um das Argument noch treffender zu interpretieren. Außerdem ist der Rekonstruktionsprozess keine Einbahnstraße. In nahezu jedem Analyseschritt muss eine Interpretationsentscheidung getroffen werden, die durch die Textgrundlage unterbestimmt ist. Zum Beispiel: Stärke ich das Antezedens oder schwäche ich das Konsequens, um die Prämisse plausibler zu machen? Ändere ich die Konklusion oder füge ich eine weitere Prämisse hinzu, damit der Schluss deduktiv gültig wird? -- Stellt sich im Laufe weiterer Analyseschritte heraus, dass eine solche Interpretationsentscheidung in eine Sackgasse führt (d.h., es lässt sich keine Rekonstruktion gewinnen, die den verschiedenen Analysekriterien hinreichend genügt), so geht man zurück zu dem früheren Analyseschritt, revidiert die ursprüngliche Entscheidung und setzt die Analyse auf einem anderen Pfad fort. (Dabei kann es sogar erforderlich sein, bis hin zum allersten Schritt der Analyse zurückzugehen, die zentralen Thesen neu zu formulieren und ganz von vorne zu beginnen.) Diese möglichen Verzweigungen von Analyseprozessen sind ein zentraler Grund für die *Pluralität zulässiger Interpretationen*. In der Regel ist es nämlich so, dass man auf verschiedenen Pfaden zu unterschiedlichen Rekonstruktionen eines Textes gelangt, von denen sich nicht sagen lässt, dass die eine Rekonstruktion im Lichte aller relevanten Gesichtspunkte klar besser als die andere ist. Hinzu kommt, dass es aus kombinatorischen Gründen praktisch unmöglich ist, all die verschiedenen Pfade abzuschreiten und den Interpretationsspielraum vollständig zu explorieren. Wie viele Einsichten man durch die sorgfältige Rekonstruktion daher auch gewinnen mag -- es ist ob dieser grundsätzlichen Überlegungen wichtig, in Bezug auf die Analyseergebnisse bescheiden zu bleiben und den provisorischen Charakter der Rekonstruktionen -- sowie die ihnen zugrunde liegenden Interpretationsentscheidungen -- transparent zu machen. ## Fragen zum Weitermachen **(1)** Welche weiteren Differenzierungen und Präzisierungen der zentralen These zur Meinungsfreiheit und Zensur gibt es? In welchen logischen Beziehungen stehen diese Thesendifferenzierungen zueinander sowie zu den im Text unterschiedenen Thesen? **(2)** Gemäß vorläufiger Pro-Kontra-Liste in Tafel\ \ref{pro-con-liste-2} stützt der Grund [``]{.arg} sowohl das [`[Zensurverbot]`]{.the} als auch die [`[Meinungsfreiheit]`]{.the}. Welche Teilüberlegungen in [``]{.arg} sprechen für die eine, welche für die andere These? Diese Teilüberlegungen lassen sich als gesonderte Argumente detailliert rekonstruieren. Gibt es Prämissen, die beide Argumente teilen? Wird in beiden Begründungen mit dem Beispiel der Gesetzgebung gegen Volksverhetzung argumentiert? **(3)** Wie lassen sich die komplexen Überlegungen [``]{.arg} und [``]{.arg} als eine Gründehierarchie rekonstruieren? Welche alternativen Interpretationsmöglichkeiten gibt es dabei? Welche Überlegungen sprechen für die eine, welche für die andere Interpretation? **(4)** Gibt es Teilüberlegungen aus `Con5`, die dem Text nach Argumente in `Pro5` untergraben? Wie lassen sich diese Beziehungen in reguläre Angriffsbeziehungen überführen? **(5)** Der in Tafel\ \ref{tafel:con3-v1} "antizipierte, aber unausgesprochene Gegeneinwand gegen ``" scheint von vornherein sehr schwach zu sein: Warum sollte man eine wirkungslose Maßnahme ergreifen, selbst wenn Nichtstun die einzige Alternative dazu ist? Angenommen also dieser antizipierte Gegeneinwand *ist* schwach -- rechtfertigt das unsere Interpretationsentscheidung, die in Tafel\ \ref{tafel:con3-v1} dargelegte Rekonstruktionshypothese nicht weiterzuverfolgen? Warum? Welche Rolle spielt hierbei das Prinzip des Wohlwollens? **(6)** Im Zusammenhang mit der Interpretation der Überlegung [``]{.arg} *begründen* wir, dass Teilargument [``]{.arg} den Einwand [``]{.arg} stützt, wie folgt: "Wenn man das Argument [``]{.arg} hingegen nicht als direkten Einwand gegen [``]{.arg}, sondern als weitere Untermauerung des Einwands [``]{.arg} interpretiert und entsprechend reformuliert, so erscheint es viel plausibler." Handelt es sich bei der hier zitierten Überlegung (die auf dem Prinzip des Wohlwollens basiert), um einen Grund höherer Ordnung für [``]{.arg}? Falls nicht, lässt sich diese Begründung an anderer Stelle in die Gründehierarchie einordnen? Wie ist sie zu charakterisieren? **(7)** Im Laufe der Rekonstruktion erwägen wir folgende Interpretationsoption: "Der Einwand [``]{.arg} läuft allem Anschein zum Trotz ins Leere und richtet sich tatsächlich nicht gegen das Pro-Argument." Warum sollten man diese Option nur dann als Ergebnis der Analyse ausgeben, wenn Alternativrekonstruktionen scheitern? Was spricht gegen diese Interpretation? **(8)** Bei der Analyse von `Con4` als Argumentkarte argumentieren wir: "Die Interpretation von [``]{.arg} als Einwand gegen Prämisse (3) in [``]{.arg} legt fest, wie die Konklusion des Einwands lauten muss, was uns wiederum erlaubt, die Darstellung des Arguments zu präziseren." Wie lässt sich dieser Interpretationsvorgang anhand des hermeneutischen Kleeblatts beschreiben? **(9)** Das Argument [``]{.arg} rekonstruieren wir als logisch gültigen Schluss in mehreren Schritten, wobei verschiedene Rekonstruktionsoptionen erwogen und teils verworfen werden. Wie lässt sich dieser Rekonstruktionsprozess im Rahmen des hermeneutischen Kleeblatts beschreiben? Welche im Kleeblatt genannten Gesichtspunkte werden im Rekonstruktionsprozess relevant -- und wo genau? **(10)** In welcher Weise liegt der Entscheidung, das Argument [``]{.arg} im Zuge der Detailrekonstruktion in zwei Argumente aufzuspalten das Prinzip des Wohlwollens zugrunde? **(11)** Wie lauten die vier impliziten Zwischenkonklusionen im Argument [``]{.arg}, die sich ergeben, wenn man der Reihe nach und einzeln die genannten Schlussmuster anwendet? **(12)** Wie hängen die Maxime der wohlwollenden Rekonstruktion und das hermeneutische Kleeblatt miteinander zusammen? **(13)** Prämisse (2) im Argument [``]{.arg} wird gestützt von [``]{.arg} (vgl. Tafel\ \ref{tafel:gmnb-final}). Wie muss dieses Argument rekonstruiert werden, damit es *in Ihren Augen* möglichst stark und plausibel ist, aber weiterhin seine dialektische Funktion erfüllt? (Ändern Sie dafür ggf. auch das Argument [``]{.arg}.)